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von: Achim Breiling (Rezension 1 von 2)
Das Label Target Music scheint sich auf CD-Sammelboxen spezialisiert zu haben. Da gibt es z.B. eine bis dato vierteilige Reihe mit jeweils 6 CDs namens "100% Rock", eine 8CD-Box mit "Chillout Moods", die "Ultimate Elvis Collection" oder das Beste von Howard Carpendale auf 4 Silberlingen. Vor einiger Zeit hat sich das Label, in Zusammenarbeit mit dem German Rock e.V., dem Krautrock angenommen. Zwei Sammlungen mit jeweils 6 CDs erschienen, in Anspielung an eines der bekanntesten Krautrocklabels, 2005 bzw. 2007 als "Krautrock - Music for your brain" und "Krautrock - Music For Your Brain Vol. 2". Nun liegt Teil drei der Reihe vor.
Wie schon bei den beiden Vorgängern gibt es sechs randvolle CDs, zusammen fast 8 Stunden Spielzeit, die übrigens Platz sparend in einer der ursprünglich für Doppel-CDs vorgesehenen Boxen untergebracht sind. Die Bandbreite des Gebotenen ist naturgemäß groß, bezieht sich hier Krautrock, frei von stilistischen Eingrenzungen, ausschließlich auf das Herkunftsland der Bands, oder zumindest die Muttersprache der Musiker (sind mit Krokodil, Pacific Sound und McChurch Soundroom doch auch Schweizer Formationen vertreten). Oder, auch das ist nicht richtig. Bei vielen Bands fanden sich Musiker ohne deutschen Pass, bei Message und Odin traf dies auf die Hälfte der Band zu und Nektar und Sweet Smoke bestanden gar nur aus britischen bzw. US-amerikanischen Musikern (zumindest den größten Teil ihrer Geschichte). Als kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich wohl die Definition finden, dass es sich um im deutschsprachigen Raum eingespielte Musik handelt, die vornehmlich in den 70er Jahren entstanden ist (mit ein paar zeitlichen Abweichungen nach oben oder unten).
Frei-Rockendes (z.B. Gila, Faust, Guru Guru), Psychedelisches (z.B. Analogy, My Solid Ground), Hard- und Mainstreamrock (der Grossteil des hier Gebotenen), aber auch Blueslastiges, Jazzrock, Elektronisches, Folkiges und auch Deutsch- und Politrock findet sich auf diesen 6 CDs. Die Qualität des Gebotenen schwankt natürlich, handelt es sich doch hier nicht um eine Best-Of-Zusammenstellung, sondern soll die Sammlung, zusammen mit den beiden anderen Teilen, einen möglichst umfassenden Überblick über die Szene geben. Das ist den Machern dieser Alben auch sehr gut gelungen. Natürlich wird man das eine oder andere Vermissen, bestimmte Stücke oder auch einzelne Bands (NEU!, Ashra Temple oder Out of Focus z.B.). Dies ist aber nicht notwendigerweise die "Schuld" derer, die hier die Auswahl getroffen haben, sondern einiges fehlt, weil die Rechte zur Veröffentlichung nicht zu bekommen waren, oder weil nur ein bestimmtes Stück von der Band oder dem heutigen Rechteinhaber freigegeben wurde. Was nicht ist, kann aber noch werden, wird im Beiheft doch über weitere Folgen dieser Reihe spekuliert.
Wie oben schon angedeutet, überwiegt auf "Music for your brain Vol. 3" Hard- oder Mainstreamrock, gitarrendominiert, ab und an angereichert mit Orgel- und weiteren Tastenklängen, seltener ergänzt um Sax oder Flöte und meist versehen mit einer krautigen Komponente, sei es eine gewisse wuchtige Holprigkeit, sei es akzentbelasteter Gesang. Vieles, die Nummern von Birth Control, Virus, Krokodil oder Frame z.B., befand sich aber durchaus auf internationalem Niveau und brauchte sich vor vergleichbaren angloamerikanischen Produktionen nicht zu verstecken. Richtig proggy wird es bisweilen auch, bei den Stücken von Sahara, Subject Esq., Eulenspygel oder Hoelderlin z.B., mitunter gar wirklich progressiv, in den Nummern von Wolfgang Dauner, Faust, Annexus Quam oder Dzyan z.B.. Drollig bis peinlich, zumindest aus heutiger Sicht (oder der des Rezensenten), sind die Kreationen von Bernd Witthüser und Walter Westrupp, Floh de Cologne und Franz K. ("Wir haben Bock auf Rock"). Sonst noch bemerkenswert ist das wirklich abgedrehte "Trip" vom einzigen Album der Formation Dies Irae und wie erstaunlich deutlich der Anfang des Eloy-Stücks "Future City" nach Jethro Tull klingt (und das mit Bornemannakzent und ohne Flötisten!).
Wer sich einen detaillierten Überblick über den Krautrock verschaffen möchte, der ist mit den (bis dato) drei Teilen von "music for your brain" sehr gut bedient. Es gibt zurzeit sicher nichts Vergleichbares auf dem Markt!
von: Jürgen Gallitz-Duckar (Rezension 2 von 2)
Krautrock schießt ins Kraut. Noch vor ein paar Jahren ein Geheimtip für viele, jetzt schon die dritte 6-CD-Compilation-Box in nur vier Jahren, ganz zu schweigen von diversen Wiederveröffentlichungen ehemaliger LPs auf CD. Wo Box Nr.1 noch sowas wie „The Greatest Hits of Krautrock“ entsprach, Box Nr. 2 qualitativ noch einen draufpackte und nachholte, was auf Box 1 nicht mehr draufpasste, gehts jetzt fast logischerweise in die tiefen Fanbereiche des undefinierbaren Genres. Und damit leider auch in Untiefen.
So vielfältig und schräg Krautrock auch war, auch da gab es natürlich Bands der zweiten oder dritten Liga, deren Output zurecht klein blieb und dem Fast-Vergessen anheim fiel. Und so beginnts hier leider gleich schrecklich. Der scheppernd nervige Rock and Roll Song von DSCHINN schreckt als Opener zum opulenten Boxset kräftig ab. HAIRY CHAPTER legen hardrock-krachig nervend nach. Überhaupt ist die CD 1 des Sets leider sehr im Zeichen des harten Rocks gehalten, und das war wahrlich nicht die große Stärke des Krautrocks, da vor allem bei dem dem Genre oft eigenen Brüllgesang schlechte Sänger und simple Songstrukturen schwer ins Gewicht fielen. Wenn man dann noch Bierzeltrock draufpackt (FRANZ K. und ihr Stück Bock auf Rock, das in seiner stupiden Primitivität ganz ans letzte BAUMSTAM Album rankommt), ein Stück der Band ODIN im Bootleg-Livesound verkoppelt oder die musikalisch belanglose, eher Wert auf Texte legende Politrock-Band FLOH DE COLOGNE dazufügt, könnte es sein, dass der Hörer mit Geschmack doch erstmal sich abwendet. Es hat aber mit BIRTH CONTROL, FASHION PINK und vor allem SUBJECT ESQ drei qualitativ richtig gute Nummern auf CD 1. Und davon ist die eine, Just before the sun will rise, sogar ebenso ne Hardrock-Nummer, aber auf das „wie“ kommts halt an.
CD 2 wird endlich abwechslungsreicher und stellt eine größere Bandbreite an Krautklängen vor. Wunderschön verträumter Folk mit WITTHÜSER & WESTRUPP, jazzige Klänge – eine der großen Stärken diverser Krautrocker – von WOLFGANG DAUNER oder THRICE MICE, eine erstklassige Psych-Nummer der Schwaben GILA oder das feine „BLACK SABBATH mit Flöte“-Stück der Schweizer McCHURCH SOUNDROOM.
CD Nummer 3 beginnt mit fünf recht starken Nummern zwischen Prog, Psych und auch mal Elektronik, um dann in der zweiten Hälfte dreimal kräftig durchzusacken und erst mit dem klassisch angehauchten Stück von MAMMUT wieder in die Spur zu kommen. Weiter bei Nummer 4, und die macht es genau anders herum. Ist die erste Hälfte noch recht dem Durchschnitt gewidmet (bis auf GURU GURUs herrlich betitelten Krautrock-Klassiker Der LSD Marsch) gibts ab Lied Nummer Fünf nur noch Qualität. DZYAN, ANNEXUS QUAM und auch NOSFERATU stehen für spannende jazzige Experimente, BRÖSELMASCHINE für guten Krautfolk, und – oh Wunder – die von mir auf Silberscheibe 1 vielgescholtenen FRANZ K. können auch anders. Ihr Peterlied um einen Jungen, der die Sinnlosigkeit des Armeedienstes erfährt und übers Leben nachzudenken beginnt, ist musikalisch abwechslungsreich mit spannendem Verlauf. Gegen Ende gibts sogar ne GROBSCHITT-artige Sprecheinlage, die wunderbar skurril zu diesem typisch krautigen, deutsch gesungenen Stück Rock passt. Ein Totalausfall hier nur das Stück vom heutigen Gourmetkönig Dollase und seiner Band WALLENSTEIN, bei dem gesanglich Zahnschmerzqualität erreicht wird.
Auch auf Scheibe fünf pendelt die Waage wiederum zwischen toll und nervig. PELL MELL, THIRSTY MOON, die geil durchgeknallten NINE DAYS WONDER, die ihre gesanglichen Defizite mit verrückten Ideen wettmachen, oder ET CETERA sind alle auf der Habenseite zu verbuchen. BERND WITTHÜSER, hier von seinem ersten Album, auf dem sein Sangespartner WALTER WESTRUPP nur ganz klein in den Credits genannt wurde, ist sowieso einsame Klasse, sowohl textlich als auch interpretatorisch: Einer der besten Barden aus deutschen Landen, wissen heute nur viel zu wenige noch. Aber hier sind auch wieder ein paar Ausreißer drauf - und was für welche. Wer immer meint, Frank Bornemann von ELOY könne nicht singen: Hört euch bitte mal die „Versuche“ der Herren von VIOLENCE FOG oder PACIFIC SOUND an. Wahrlich harter Tobak, und wer da nicht freudig die Skiptaste drückt, hats schon an den Ohren; zwei Musterbeispiele für Scheiben, die im Staub der Zeit besser vergraben geblieben wären. Und selbst die meist sehr guten Schweizer KROKODIL findet man hier auf der fünften CD nur mit nem kreuzlangweiligen Allerwelts-Bluesrockstück, schade.
Aber Rettung – die letzte Scheibe im Päckchen – naht. Die schon erwähnten ELOY beginnen hier mit ihrem „JETHRO TULL Song“. Das klingt gleich zu Anfang in der Melodieführung und im Gesang so sehr nach JTs Frühphase, da würde Ian Anderson wohl erstmal suchen, auf welches Album er das draufgepackt hatte. Sehr fein. Die musikalisch versierten und darum sehr guten Politrocker EULENSPYGEL gibts hier überraschenderweise gleich zweimal hintereinander, mit einer guten Akustiknummer und mit dem groovigen, abwechslungsreichen, angeproggten Staub auf deinem Haar, das mich immer wieder frappiernd an Teile des BLIND FAITH Songs Do what you like erinnert. Nochmal ganz fein. Textlich sowieso, denn auch sie gehörten zu der ausgestorbenen Musikerspezies, die noch Meinung über Vorgänge der Welt hatte und sich nicht scheute, die auch zu singen. Ein weiterer Höhepunkt - für mich persönlich DER Höhepunkt des ganzen CD-Sets - kommt dann mit SWEET SMOKEs Kundalini. Eine feine jazzy Jam-Nummer mit einem ausgeprägt fernöstlichem „Hare Krishna Feeling“, ganz zum Thema passend. Das könnte auch von den in diesem Metier unterwegs gewesenen starken Engländern QUINTESSENCE sein. Einfühlsame Flöte, unterlegt mit Tanpura-Klängen (die gerne immer für Sitar-Klänge gehalten werden), ebenso einfühlsamer Gesang. Spitzennummer, die auch mit ihren 13einhalb Minuten nicht eine Sekunde zu lang ist. Vorher und nachher auf der CD gibts dann endlich wieder Elektronik-Klänge, welche ja zum absoluten Kerngebiet des Krautrocks gehören. PETER BAUMANN, zu der Zeit eine feste Stütze von TANGERINE DREAM, und eben diese selbst sind mit je einem Stück vertreten. Damits wohl für die Rocker nicht zu schwierig wird, das auszuhalten, wurde mit Coldwater Canyon vom Livealbum Encore eines der TD-Stücke gewählt, bei denen Edgar Froese auch zu seiner Stratocaster greift. Lassen wir dann mal Durchhänger Herrn Lindenberg weg – ich kann einfach seinen Gesang nicht ab und musikalisch schafft ers auch nie, mich zu packen - kommt noch mit Doldingers PASSPORT ein tolles Jazzrock-Werk zum Abschluß. Da ertrag dann auch ich meinen Lindi, denn dort trommelte er nur.
Value for money, ohne Zweifel, trotz der bemängelten Aussetzer. Wenn man zum drittenmal je sechs CDs randvoll aus einem Genre zu bedienen hat, lässt sich das wohl nicht so ganz vermeiden. Das Gute hält dem Rest jedoch noch die Waage. Doch hätte ich mir ein bißchen mehr Abenteuerlust der Kompilierer gewünscht, mehr das Besondere als das Banale, denn wofür sonst stand und steht der deutsche Krautrock, als nicht schräge und schrägste Ideen in Musik zu verpacken? Hier sind mir – grade im Vergleich mit den beiden Vorgängern – ein wenig zuviel Durchschnittsrocksongs drauf, die nicht gerade das faszinierende Bild des Krautrocks präsentieren, eher seine Schattenseiten. Mehr Mut, mehr freakiges, mehr experimentelles, mehr jazziges, auch mehr symphorockiges, einfach mehr unterschiedliches würd ich mir wieder wünschen. Wie die Macher aber schon durchblicken lassen, stehen die Chancen für weitere Teile der Serie nicht schlecht, bleibt also zu hoffen, dass die Qualität bei Teil 4 wieder ansteigt.
Krautrock-Tiefenforscher, Krautrock-Neuentdecker oder Krautrock-Wiederentdecker – sie alle werden aber auch hier wieder genug fündig werden.