R.P.S. Lanrue - Ton Steine Scherben: Mitbegründer gestorben
(* 14. Januar 1950 in Grenoble, Frankreich; † 14. Juli 2024 in Berlin)
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aus der SZ am 16. Juli 2024, 21:06 Uhr
Lesezeit: 2 min
SZ:
Nachruf auf R.P.S. Lanrue
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Hochgradig elektrischer Mann
Pflastersteinharte Riffs, durch alle Herzkammern schneidende Soli: Zum Tod von R.P.S. Lanrue, Gitarrist und Komponist der Band „Ton Steine Scherben“.
Da die historischen Eins-zu-eins-Vergleiche auch und gerade im Rock’n’Roll wenig Sinn ergeben, sagen wir es so: Sollte es in Deutschland je einen Musiker gegeben haben, der vom revolutionären Potenzial her dem großen Stones-Gitarristen Keith Richards die Faust reichen konnte, auch was die Hammerhaftigkeit seiner Riffs betraf und die Fähigkeit, mit einem ähnlich stursinnigen Bandpartner die perfekte künstlerische Symbiose einzugehen – dann muss es Ralph Peter Steitz gewesen sein.
Unter Pseudonym ist er bekannter: R.P.S. Lanrue, der Mann mit dem Hut, Gitarrist und musikalischer Motor der Gruppe Ton Steine Scherben. Der eher stumme, ansonsten hochgradig elektrische Mann, der mit dem artikulierten, beißfreudigen Rio Reiser das einzig mögliche Duo bildete, das die deutsche Rockmusik Anfang der Siebziger zu einer relevanten Größe machen konnte. Jenseits der damals verbreiteten Kiffseligkeit und allem Leistungskurs-Gegniedel.
Wer also 1972 in linken Jugendhäusern oder vor WDR-Mattscheiben zu Hymnen wie „Keine Macht für Niemand“ oder „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ die Arme reckte, tat das zu Lanrues pflastersteinharten Riffs. Wer zu „Halt dich an deiner Liebe fest“ unterm Kamelhaarpulli fummelte oder zum mysteriösen „Jenseits von Eden“ headbangte, hatte dabei seinen Solo- und Linienton im Ohr – ein verletztes, aggressives Glühen, natürlich immer auch Hommage an seine angloamerikanischen Nebengötter. Dass Ton Steine Scherben nicht andeutungsweise so viele Platten wie Kraftwerk verkauften und ihr lyrischer und musikalischer Erdbebenfaktor in Ranglisten oft übersehen wird, liegt nur daran, dass sie ihre Produkte selbst vertrieben, mit der von Reiser und Lanrue autonom geleiteten Firma David Volksmund. Wer wirklich keine Kompromisse duldet, wird insgesamt seltener umarmt.
Steitz kam 1950 im französischen Grenoble zur Welt, lernte nach dem Umzug ins hessische Rodgau schon mit 16 Rio Reiser kennen. Es wurde eine Freundschaft, die alle Krisen, Kunst und Politik durchdrang: In Westberlin gründeten sie erst eine Straßentheatergruppe, mit Ton Steine Scherben flüchteten sie 1974 vor der urban-linken Vereinnahmung in die Landkommune Fresenhagen. Sogar als Reiser doch noch die große Popkarriere startete, blieb Lanrue an seiner Seite. Das durch alle Herzkammern schneidende Solo auf „Junimond“ kam von ihm, bei den Ostberlin-Konzerten 1988 stand er mit ihm auf der Bühne. Dann trennten sich die Wege, aus wie immer hochkomplexen Gründen.
Mit eigener Musik trat R.P.S. Lanrue nicht mehr an die Öffentlichkeit. Nach Reisers Tod 1996 sah er die Pflege des Erbes als hohe Pflicht, verwahrte nach eigener Aussage die Original-Scherben-Tonbänder auf seiner portugiesischen Zitronenfarm. Um 2005 kehrte er nach Deutschland zurück, gestattete CD-Remasters der Klassiker. In Kreuzberg gehörte er für die, die gut hinschauten, in den letzten 15 Jahren wieder zum Stadtbild. Hier starb Ralph Peter Steitz, nach langem Krebsleiden, am 14. Juli mit 74 Jahren.
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