Jethro Tull - A Passion Play (1973)

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Max
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Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von Max »

Jedes Album der Jethros hat unterschiedliche Stärken und Schwächen, wobei bei diesem die Stärken deutlich überwiegen und weil es einfach eins der genialen Alben von JT ist. Die ersten drei Alben waren bluesig-poppig und eher unbeschwert, Aqualung driftete wieder ins rockig-folkige ab, während mit Thick as a Brick und dem hier rezensierten Alben richtiger Prog geboten wird. Nach diesen beiden Alben ging es dann wieder in Richtung Folk; wobei nach einem grandiosen Livealbum die Musik für mich persönlich immer schlechter wurde.
Wie bei "Thick as a Brick" und vielen Mike-Oldfield-Sachen hat man es hier mit einem Tonträger mit zwei überdimensionalen Longtracks à ~21 Minuten zu tun. Gut, dass man sie nicht in unterschiedliche Sektionen geteilt hat, damit würde man nur den "natürlichen Zusammenhang" stören. Los geht's mit PP Part 1: nach einer Minute psychedelischen Effekten, Zirpen und Klopfen von Synthesizern und dissonantem verfremdetem Saxofongequietsche und Hammondklängen erklingt ein "frickeliger", fanfarenartiger, jazziger Teil für Schlagzeug, Hammond und Synthi, Mike-Oldfield-esquer Gitarre, Flöte und Saxophon. Nachdem eines dieser dort vorkommenden Themen pfeifend wiederholt wird, wird es "tullig": Andersons - besonders hier - ausdrucksstarker Gesang, dezentes Klavier und Gitarrenbegleitung, wobei auch das hier komplexer als auch "Aqualung" klingt, und vor Allem melancholischer und düsterer, was v.A. durch den pessimistischen, aber genialen Text zu begründen ist. Alles zusammen klingt - musikalisch wie textlich - wie eine Fortführung von "My God" auf "Aqualung" zwei Jahre davor.
Frickelige Hammondorgel und ein Vibraphon leiten einen kurzen saxophonlastigen und freejazzigen Teil ein, wobei nach etwa einer halben Minute der akustische Teil wieder aufgegriffen wird. Wieder geht das ganze in einen Improvisationsteil über, der jedoch hier orgellastiger ist. Wie erwartet, wird es wieder akustisch. Diesmal klingt es eher nach klassischer Gitarrenmusik, begleitet von plingender Hammondorgel. Jetzt wird es richtig proggig: vertrackte Gitarren-, Bass-, Orgel- und Keyboardlinien erklingen und werden ab und zu von Andersons Gesang begleitet. Nach 12 Minuten - vom Anfang aus gerechnet - kommt auch noch eine rockige Flöte dazu, wie immer nach der guten alten Anderson-Manier gespielt. Man hört zwar überall sehr deutlich den klassischen Tull-Stil durch, wobei man an vielen Stellen auch an "Van der Graaf Generator" erinnert wird. Nach einiger Zeit wird es beinahe hard-rockig/bluesig. Anderson ist gesanglich in Hochform! So geht es dann auch bis zum Ende weiter.
Weiter zu "Part 2".
Jetzt geht es weiter: und zwar mit der "Story of the Hare who lost his Spectacles". Zu Orchestermusik trägt John Evan in englischer Art eine surreale Geschichte über einen Hasen, der seine Brille verloren hat, vor. Herrlich! Vor allen Dingen die zahlreichen Wortspiele und die Aussprache und Art des Vortragens sind ungemein komisch. Wer "The Wind in the Willows" kennt, könnte sogar auf die Idee kommen, dass die hier vorliegende Geschichte eine Art (liebevolle) Parodie von "TWitW" ist.
An seltenen Stellen hört man einzelne Instrumente der Bandmitglieder durch, die das Orchester dezent begleiten (Hammond und Saxophon erklingen manchmal). Nach einer kurzen rockigen Gesangseinlage Evans (!) geht es mit Synthesizer mit schneller Gitarrenbegleitung und Querflöte über. Die Synthesizerteppiche, die dort zu hören sind, lassen einen direkten Vergleich mit Mike Oldfields "Incantations" zu. Das klingt wirklich, als ob Oldfield sich ein Beispiel daran genommen!
Danach folgt ein Bandteil mit Hammond, Gesang, A-Gitarre und Schlagzeug, der einen an das Album "Aqualung" erinnert ("My God", "Wind-up" etc.). Wenig später kommt auch noch das Saxophon, der Synthi und die E-Gitarre dazu; es wird instrumental und "proggig/frickelig". Nach einem kurzen Hammond-Zwischenspiel hört man wieder nur noch Anderson singend und Gitarre spielend. Wenig später wird die Gitarre durch den Synthesizer abgelöst (d.h. Anderson wird nur noch von Synthi begleitet), dann kommt wieder die ganze Band dazu. Bombastische Hammondklänge erklingen, der Synthesizer plingt dazu, bis die Band wieder einsetzt und ein neues Thema beginnt, das wieder leicht psychedelisch/bluesige Klänge bringt: Anderson singt tief und chromatisch und brüllt ab und zu in die Aufnahme herein. Anstatt jedoch - wie es bei Peter Hammill mit VdGG der Fall ist - das Lied in einem Klangchaos inklusive furiosem Geschrei enden zu lassen, wird man - nach einer klassischen Gitarren-Bridge - in einen perkussiven Endteil geleitet, wobei auch die "klassischen Mike-Oldfield-Gitarren" nochmal einsetzen. Bevor alles in die - erlösende - Stille übergeht, fängt Anderson nochmal das "Passion Play"-Thema aus dem ersten akustischen Teil von Part 1 aus und lässt das Album - letztendlich - mit dissonanten Stakkato-Saxofonnoten ausklingen.
Wahrlich, keine leichte Kost. Aber auf jeden Fall - für Proggies - eine Gesunde! Mit diesem Album (und dem Vorgänger) waren sie - kurzfristig - auf gleicher Stufe mit den "Top 4" des Progs: "King Crimson", "Yes", "Genesis" und "ELP". Wie gesagt, die anderen Alben waren nicht wirklich schlecht, aber - bis auf den Vorgänger - weniger progverwandt.
Am besten vergleichbar ist das ganze Spielchen am Ehesten mit "H to He" oder "Pawn Hearts" von "Van der Graaf Generator".
Eigentlich, wenn man sich das Album genauer betrachtet, ist - rein musikalisch - kein großer Unterschied zu "Aqualung" etc. Nur: hier werden die rockig/bluesigen Sachen - wunderbar - in proggige und häufig auch jazzige Instrumentalteile eingebettet.
Der zweite Teil nimmt qualitativ nach dem ersten Teil ein wenig ab, da der erste Teil kreativer, spielfreudiger und proggiger klingt. Das würde die Note "4/5" ergeben. Hätte man die zwei Stücke andersherum veröffentlicht, wäre es eine glatte "5/5" gewesen.
ABER: der halbe Punkt für den Kultstatus (den das Album trotz der damaligen Kritiken verdient hat: es war immerhin auf Platz 1 der LP-Charts!!!) und der halbe Punkt für das Bonusmaterial werten das ganze ein gutes Stückchen auf: auf der CD findet sich nämlich ein Filmchen von der Ballettaufführung von der "Hare"-Geschichte. Denn, dieses Konzeptalbum über Tod und Leben nach dem Tod, wurde sogar als eine Art "Musical" aufgeführt. Herrlich, zu der ohnehin amüsanten Story den verkleideten Evan zu sehen, der mit den Tierfiguren und Tänzerinnen auf der Bühne herumtobt. An einer Stelle springt sogar Ian Anderson durch das Bild.
Daher: gut gemeinte, aber verdiente 5 Punkte! Für Progger: uneingeschränkte Kaufempfehlung (vor allen Dingen für die Van der Graaf und Genesis Fans)!
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Aprilfrost
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von Aprilfrost »

Hast Du klasse beschrieben, Max! Das Album ist wahrlich eine skurrile Angelegenheit. Ich höre es eigentlich jedes Mal lieber.

Auch hier erlaube ich mir, das Cover nachzureichen:

Bild
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nixe
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von nixe »

Hi Max: Wie bedankt man sich bei einem Fan, der diesbezüglich, dasselbe Album mag & dieses noch rezensieren kann, wie kein anderer? Ich wünschte, ich könnte es. Toll zu hören, das es außer mir noch andere gibt, die diesem Album die nötige Ehre zuteil werden lassen!
Tschüß
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nixe
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von nixe »

gefunden bei bbs:
Sieben Jahre Babyblaue Seiten

Jethro Tull
A Passion Play

Von: Guy Manning

Zum englischen Original-Text

Historisches:

Ganz 1972 waren Jethro Tull auf der Tour zum Album "Thick as a brick", einer großangelegten Komposition über zwei LP-Seiten. Sie hatten damit eine neue Ebene des Publikumszuspruchs bei ihren Konzerten erreicht und waren auf dem Weg nach ganz oben in der Liste der weltweit besten und bekanntesten Rockbands. "Thick as a brick" war das erste "Jethro Tull"-Album, das es an die Spitze der US-Billboard-Charts schaffte. Ihre nächste LP war also ungemein wichtig für ihren fortgesetzten Erfolg und ihre Entwicklung als eines der hellsten Lichter der neuen Musik.

Die Band entschied sich dafür, ihr nächstes Album im französischen Chateau d'Herouville aufzunehmen (das Elton John mit seinem "Honky Chateau" bekannt gemacht hatte) - wohl aus steuerlichen Gründen: Ihr Erfolg ließ sie zu Opfern der strengen britischen Steuerregelungen werden; Tull wurden also zu Steuerflüchtlingen. Also begannen Tull weit weg von zuhause und den Ursprüngen des ur-englischen satirischen Humors, der "Thick as a Brick" so geprägt hatte, ihre Ideen für das Nachfolgealbum aufzunehmen, genug Material für drei Seiten eines Doppel-Albums.

Das Studio und die Umgebung entpuppten sich allerdings als kaum ideal für diesen kreativen Prozess, und der - heißt es - Kampf mit Krankheit und technischen Problemen ließ die Band mit unfertigen Ideen zurück, als sie schließlich den festen Entschluss fasste, das Unterfangen aufzugeben und nach Hause zu fahren. Der Großteil der Überbleibsel dieser nicht komplett abgeschlossenen Aufnahmen wurden schließlich erst viel später auf dem Album "Nightcap" unter dem Namen "Chateau d'isaster"-Sessions veröffentlicht. Zwei weitere Stücke, "Solitaire" und "Skating Away On The Thin Ice Of A New Day", erschienen 1974 auf "Warchild".

Wieder zuhause und kurz vor einer großen Tour machte sich Ian Anderson daran, das vorhandene Material wieder auseinander zu nehmen und neu zusammenzusetzen, woraus schließlich "A Passion Play" entstand.

Zur gleichen Zeit, während all dies passierte, spielte in Yorkshire, England eine kleine Band Cover-Versionen von Free-, Pink Fairies- und Groundhog-Stücken. Ihr untauglicher Leadsänger saß obendrein zuhause und schrammelte Wishbone Ash-, Alice Cooper- und Lindisfarne-Nummern auf seiner kaputten 12-saitigen EKO Gitarre.

Aber der Schlagzeuger der Band hatte es sich zum Ziel gesetzt, diesen armen Kerl mit Jethro Tull bekannt zu machen... Und nach einiger Zeit packt ihn die Musik... und war ein treuer Begleiter für inzwischen mehr als dreißig Jahre.

Die Besetzung:

Das Quintett dieser Aufnahmen war die erste wirklich stabile Jethro-Tull-Besetzung (und blieb bis 1975 zusammen).

Ian Anderson - flute, acoustic guitar, saxophones, vocals
Barriemore Barlow - percussion
Martin Barre - electric guitar
John Evan - piano, organ, synthesizers, speech
Jeffrey Hammond - bass guitar, vocals

Guys Erinnerungen an die Zeit, das Konzert und das Album:

Wir waren erst 16, und Musik rief uns zu sich. Jethro Tull kündigten an, dass die Weltpremiere von "A passion play" ein Konzert in Großbritannien am 13. April sein würde. Sofort kratzten wir das Geld für den Eintrittspreis von einem Pfund (könnt Ihr Euch noch an diese Zeiten erinnern!?) zusammen, bestellten die Tickets... warteten... warteten... warteten und schließlich... waren sie da! Jetzt mussten wir nur noch unseren Eltern beibringen, dass wir alleine nach London fahren, dort übernachten und das Konzert in der Wembley-Arena anschauen wollten. Aber die Musik rief uns zu sich, und wir konnten unsere zweifelnden Eltern überzeugen, dass wir verantwortungsbewusst genug dafür seien, um von der Leine und in die Stadt gelassen zu werden!

Pläne wurden geschmiedet! Doch dann die Katastrophe! Die Tour wurde abgesagt, da das aufwändige Bühnenbild nicht schnell genug von den USA nach Europa geschafft werden konnte, und auf später verschoben. Schließlich wurden ein Termin im Juni 1973 sowie ein zusätzlicher bekannt gegeben, sofort bestellten wir Tickets... warteten... warteten... warteten und schließlich... waren sie da! Jetzt mussten wir nur noch unseren Eltern beibringen, dass wir alleine nach London fahren, dort zweimal übernachten und die Konzerte in der Wembley-Arena anschauen wollten!

Wir machten uns auf zu einem kleinen Bed&Breakfast in der Nähe von Wembley. Auf der Fahrt passierte nichts, aber wir waren sehr aufgekratzt und nervös vor lauter Vorfreude. Wir kamen sehr früh an der Arena an und ein riesiger, 10 Meter hoher Ian Anderson (inklusive Mantel und Schamkapsel ["Eierschutz" auf gut Deutsch - Anm. des Übersetzers]) ragte über den Eingangsbereich. Wir traten in die riesige Arena und suchten unsere Plätze. Gute Nachrichten: Wir waren in Reihe 6 auf dem Parkett mit einer tollen Sicht auf die Bühne... aber alles, was bis dato zu sehen war, war ein Sicherheitsvorhang.

Wir zogen die Konzertprogramme heraus (die weitere 50 Cent gekostet hatten) und lasen sie pflichtbewusst von vorne bis hinten durch. Robin Trower bestritt das Vorprogramm (ich hatte noch nie von ihm gehört). Die Artikel und Photos waren klasse. Die Spannung stieg... Niemand hatte bisher das neue Album gehört. Wie würde es wohl sein? Alles, woran wir uns orientieren konnten, waren die großartigen Vorgängeralben. Robin Trower war dran und schon wieder vorbei, ich erinnere mich nur noch verschwommen daran, dass er wohl grob hendrixmäßig, aber gar nicht schlecht war.

Wir warteten... Dann ging der Vorhang hoch und enthüllte eine große Leinwand über der Bühne, auf der ein kleiner Punkt pulsierte, während über die Anlage eine Art "Herzschlag"-Sound gespielt wurde (im Nachhinein vertraut als der Beginn des Albums). Wir machten uns bereit... warteten... warteten... 20 Minuten... immer noch nichts... weißer Punkt... pulsiert... nichts. Der Vorhang neben der Bühne flattert, jemand geht den Mittelgang entlang, nur drei Sitze von uns entfernt, in Richtung Mischpult am Ende der Halle. Es war Ian! Wir sprachen darüber, stritten, nötigten, schoben... Kurz gesagt: Einer von uns versuchte allen Mut zusammenzunehmen, um Ian anzusprechen, wenn er den unvermeidlichen Weg zurück zur Bühne machen würde. Am Ende waren wir doch zu schlappschwänzig, um irgendwas zu unternehmen, und standen regungslos da, als Ian zurückging und wieder verschwand.

Die Projektion flackerte und zeigte eine Ballerina, die auf dem Boden lag. Sie stand auf, tanzte und drehte sich, während der "Herzschlag" Halbton für Halbton nach oben kletterte. Sie begann zu laufen und ein Alt-Saxophon-Arpeggio brach aus... Sie lief einen Flur entlang auf einen Spiegel zu. Sie sprang und brach durch den Spiegel... Splitter flogen durch die Gegend, während die Band zu Pyrotechnik-Blitzen hinter ihren Verstärkertürmen hervorsprang und direkt mit dem Anfang von "A Passion Play" loslegte. Ian erschien an der rechten Bühnenseite, während sein Sopransax immer noch die eröffnenden Refrain-Melodien plärrte.

Ich saß den kompletten Auftritt über mit offenem Mund da, meine Augen starr und mein Kinn am Boden. Dies war das superbste Spektakel, das ich jemals gesehen hatte. Wir waren im Passionsspiel. Zur Hälfte des Stücks tauchte die Leinwand wieder auf und "The Hare Who Lost His Spectacles" wurde auf das ahnungslose und verwirrte Publikum losgelassen. Wir hatten keine Ahnung, was das sollte, aber wen interessiert´s? Ian Anderson kam wieder raus... "we sleep by the ever bright hole in the door..." Und die Band spielte klasse, es gab ein Schlagzeug-Solo, ein Flötensolo, ein Klaviersolo, ein Gitarrensolo... und ein herumlaufendes Kaninchen. Nach der Uraufführung des neuen Werks gab es ein wenig "Thick As A Brick", "Aqualung", "Locomotive Breath" und "Wind-up", in das Teile von "Audition" (später ein Stück auf "Nightcap") eingebaut wurden.

Die Show war viel zu schnell vorbei, und wir (gleichzeitig betäubt und aufgekratzt) standen schon auf... Doch plötzlich begann ein Telefon zu klingen, das schon die ganze Zeit auf einem Hocker an der Seite der Bühne gestanden hatte. Wir drehten uns um... und verharrten regungslos. Der hintere Bühnenvorhang bewegte sich, Ian kam hervor, Jacke über die Schulter gelegt. Er ging zum Telefon, nahm ab, nickte, hielt es in Richtung des Publikums und sagte ins Mikro: "Es ist für Euch". Die komplette Arena explodierte mit Applaus und Liebe für eine Band, die mehr als zwei Stunden lang alles mit Musik und Bild für uns gegeben hatte.

Wir verließen die Arena und gingen zu unserer Unterkunft. In unserem Zimmer, immer noch hin und weg, lachten wir und unterhielten uns über die Show bis tief in die Nacht, bis einer meiner Kumpels einen Asthma-Anfall bekam! Uns verging das Lachen, bis er sich wieder gefangen hatte (...sehr ernüchternd!).

Am nächsten Abend waren unsere Plätze sehr weit oben im Rang ("halbwegs zu Gott"), und die Show, obschon wieder hervorragend, hatte so weit von der Action unten nicht die gleiche Wirkung auf uns.

Zurück in Yorkshire ein paar Tage später warteten wir nervös auf die Rezensionen zur Show.

Rückschlag:

1973 war das Jahr der Kritiker-Machete.

Ich erinnere mich speziell an dieses Jahr dafür, wie die Alben, die ich liebte, von der Musikpresse niedergemacht wurden. "Step up, step up and take a swing, hit the band, knock them off their perches..." Heutzutage mag mancher behaupten, dass die Bands bekamen, was sie verdienten, dass sie maßlos und anachronistisch waren. Ich sehe es allerdings anders. Ich erinnere mich daran, dass ich von dem, was ich lesen musste, schwer geschockt und verärgert war. Ich war bei der Show... Es war magisch... Wie konnte man das bloß als langweiliges Gepose beschreiben?

Auch zur gleichen Zeit im Kreuzfeuer, um nur ein paar zu nennen:

ELP - Brain Salad Surgery
Yes - Tales From Topographic Oceans
Led Zeppelin - Houses Of The Holy

Innerlich forderten wir die Kritiker heraus. Wenn nur das Album veröffentlicht und in unseren Händen sein würde, würden sie ihren schrecklichen Fehler einsehen und beschämt sein... Aber NEIN! Die Rezensionen der LP waren noch schlechter als die der Live-Show. Es scheint, der Wurm "Rock-Presse" hatte sich genau in dem Moment weggekrümmt, als wir ihn wieder unter seinen Stein packen wollten.

Jethro Tull, obschon immer brillant, haben sich von diesem Schlag nie erholt, und tauchten unter lauten Publicity-Fehlern wie anzukündigen, dass man nie wieder touren würde, für eine Weile ab, bevor sie 1974 mit dem "Warchild"-Album wieder auftauchten. Dieses war zwar ebenfalls klasse, aber viel eher eine statisch-lineare Song-Geschichte. Damals dachte ich auch, dass die Produktion schwachbrüstig war... Als ob jemand die Luft aus der Band gelassen hätte und sie Musik-nach-Zahlen machten anstatt mit Herzblut.

Die "Passion Play"-LP:

Das Vinyl-Album erschien im Juli 1973. Wir stahlen uns aus der Schule, um in die Stadt zu gehen und uns in die Schlange stellen zu können, um eine Ausgabe zu kaufen. Vorne und hinten auf dem Klappcover war die Ballerina, die wir von der Leinwand schon kannten, innen eine Art Theater-Programm-Booklet der "Linwell Players Theatre Company". Selbst diese Umschlaggestaltung gab wenig Hinweise darauf, worum es in dem Album eigentlich ging.

An diesem Abend spielte ich es zum ersten von tausenden Malen, und es ist seitdem immer wieder gelaufen.

Seither glaube ich, dass es in "A Passion Play" vorrangig um die Abzweigungen geht, die es gibt, wenn wir sterben. Wir landen im Fegefeuer und warten, während wir abgearbeitet werden, wir könnten im Himmel landen oder in der Hölle, aber schließlich ist beides unbefriedigend, also werden wir einfach wiedergeboren, und das ganze Passionsspiel beginnt von neuem.

Resümee:

Dieses wird weithin als Jethros Tulls "schwieriges" Album betrachtet und scheint die Fans in die Lager "lieben" und "hassen" zu teilen. Einige finden es schwer anzuhören, aber eigentlich finde ich es in dieser Hinsicht weniger problematisch als etwa "Rock Island" (das ich persönlich besonders "schwierig" finde, eben weil es weit weniger gut als APP ist - was Kreativität, textlichen Inhalt, Melodie, Arrangement, Risikobereitschaft, Vision etc. angeht. Ich kann Rock Island nicht anhören, ohne es ausmachen zu wollen - sorry, Ian!)

Die "Probleme" von "A Passion Play" sind zweierlei:

Erstens haben es nicht viele Bands in jener Zeit geschafft, ein Album mit jeweils einem durchgängigen Stück zu produzieren, dass es wert war, angehört zu werden - und hier war eine Band, die das gleich zweimal hinter einander gemacht hatte! "Thick as a brick" wurde eher als selbstironisch, humoristisch angesehen (und auch so vorgestellt), eine schrullige englische Satire, wenn man so will. Von "A Passion Play" konnte das niemand behaupten. Damit musste man sich intensiv beschäftigen, um überhaupt "dahinter zu kommen".

Zweitens, wie schon beschrieben, war dies eines der Alben, an denen sich die kritische Meinung drehte. Bis dahin waren die Rezensenten in den seltenen Fällen, in denen sie das neue Album eines Künstlers verdammten, trotzdem eher höflich gewesen, hier und danach aber nicht mehr. Ursprünglich war es Unbehagen gewesen, das anlässlich der Wembley-Gigs ausgedrückt wurde, dann, als das Album veröffentlicht wurde, war plötzlich die Hölle los. Ob die Musikpresse es auf Ian Anderson wegen anderer Gründe als der Musik abgesehen hatte, ist schwer zu sagen, aber die Band bekam jedenfalls eine noch nie dagewesene Abreibung. Dies hatte zur Folge - ungerechtfertigt, denke ich -, dass davon Jethro Tulls ganze Karriere überschattet wurde, was verhinderte, dass sie je den Platz in der Rock-Hierarchie einnehmen konnten, der ihnen zugestanden hätte. Im Zuge des Nostalgiebooms schwärmen die Medien immer und immer wieder von den Stones, Zeppelin, Floyd. Sie alle wurden im Laufe der Zeit neu bewertet, aber Jethro Tull - leider - nicht. Und dies wegen eines bemerkenswerten Albums.

Ich kehre oft zu "A Passion Play" zurück, und es wäre sicherlich Teil meiner "Einsame Insel"-Auswahl. Die späteren Veröffentlichungen der "Nightcap"-Sessions und die DVD-Version des "Hare"-Films haben es mir nur noch stärker ans Herz wachsen lassen.

"A Passion Play" ist ein wunderbares Zeugnis einer Band, die es wagte hoch zu fliegen, nur um von anderen abgeschossen zu werden, die auf ihren Schultern stehen müssen, um überhaupt gesehen und gehört zu werden.

Zur "Sieben Jahre BBS"-Seite
Als ich diese Rezension das erste Mal las, wäre ich gern dabei gewesen!
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von olias1 »

14. Mai 2014, 22:08 » anixek hat geschrieben:gefunden bei bbs:
...
Jethro Tull kündigten an, dass die Weltpremiere von "A passion play" ein Konzert in Großbritannien am 13. April sein würde.
...
Als ich diese Rezension das erste Mal las, wäre ich gern dabei gewesen!
Offensichtlich ein magischer Moment den wohl jeder von uns gerne erlebt hätte!

In Kürze werden wir diesen Teil der Geschichte noch besser kennen.

Ich gebe zu dass mich das Erscheinen des "A Passion Play (An Extended Performance) [CD+DVD, Box-Set]" mehr beschäftigt als das neue YES Album "Heaven and Earth".

Aber gut, wenn die Relayer in wenigen Tagen in einem [Box-Set] in DTS 5.1 herauskäme, hätte ich wohl als Steigerungsstufe schlaflose Nächte. Davon kann jetzt nicht die Rede sein ...
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nixe
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von nixe »

Dieses Teil habe ich, im Gegensatz zu Heaven and Earth bestellt!!! Leider ist sie verschoben worden, dafür helfen mir die anderen neuen Alben ganz gut drüber hinweg.
Tschüß
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von olias1 »

30. Jun 2014, 07:46 » anixek hat geschrieben:Dieses Teil habe ich, im Gegensatz zu Heaven and Earth bestellt!!! Leider ist sie verschoben worden, dafür helfen mir die anderen neuen Alben ganz gut drüber hinweg.
Auch ich habe die JT - APP Box bestellt und mit der YES - HAE warte ich noch zu ob ich die Japan Version oder doch eine normale Europa Pressung nehme. Die Japan Pressung der FFH habe ich erst Monate später gekauft.

Mir persönlich wäre ein guter Konzertmitschnitt von London 78 gerade recht. Das war mein magischer Moment. Aber so wie es aussieht werden wir das alle nicht mehr erleben.

:kez_15:

JT habe ich mit der Warchild und der Tour dazu gesehen (das war mein erstes Konzert überhaupt). War toll! Nicht so wie sich das im Bericht über APP oben ließt aber noch immer (subjektiv) toll. Die APP kannte ich jedoch schon vorher.

:boys_0120:
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von nixe »

Leider ist das alles schon sehr lange her, somit ist A Passion Play live Geschichte!!!
Aber die tuben können auch überraschen, denn ich habe mehere Versionen von Atom Heart Mother entdeckt, & UmmaGumma haben auch junge Musiker eingespielt. Vieleicht finden sich welche für A Passion Play :jc_doubleup: !!!
Tschüß
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Re: Jethro Tull - A Passion Play (1973)

Beitrag von nixe »

NEIN, da habe ich leider nix!, aber:
Bild
Jethro Tull – A PASSION PLAY (EXTENDED PERFORMANCE)
Michael Köhler Jul 11th, 2014
Jethro Tull loten die ewige Frage der Menschheit aus: gut oder böse?
Ein in der hohen Kunst des Balletts gerne beschworenes Sujet: Rücklings liegt eine grazile Ballerina leblos, vielleicht gar tot auf dem Bühnenboden eines viktorianischen Theaters. Dieses visuell trickreich in Schwarzweiß aufgenommene Foto ziert das Cover von A PASSION PLAY, dem sechsten Studiowerk der britischen Formation Jethro Tull. Ein 1973 auf zwei Plattenseiten in 16 Segmente unterteiltes Opus in vier Akten.
Künstlerisch hochgestochen loten Komponist, Flötist und Sänger Ian Anderson, Gitarrist Martin Barre, Pianist John Evan, Bassist Jeffrey Hammond-Hammond sowie Schlagzeuger Barriemore Barlow die Eckpfeiler Klassik, Jazz und Folk aus. „Art for art’s sake“, Kunst um der Kunst willen, pflegen die Briten ein so ambitioniertes Unterfangen nicht ohne Augenzwinkern zu umschreiben.
Bei Ian Anderson weiß der Hörer ohnehin nie so genau woran er ist: Schon auf dem Vorgängerwerk THICK AS A BRICK, einem recht ähnlichen Epos auf allerdings stark satirischem Fundament, saß dem Tull-Chef ja der Schalk im Nacken. Da stellt sich die Frage: Was soll so einem Opus denn folgen?
Anderson und Co., noch immer damit beschäftigt den immensen Erfolg von AQUALUNG (’71), das allein in den USA Triple-Platin einheimste, zu verkraften, planen eigentlich ein Doppelalbum mit Material im konventionellen Songformat. Enden aber erneut im Konzept. Aber diesmal ohne Parodieabsicht.
Doch der Reihe nach: Denn alleine der Aufnahmeprozess mutet an, als wäre es ein Kapitel aus „Spinal Tap“: Um horrende britische Steuern zu umgehen, mieten sich Jethro Tull im nahe Paris gelegenen Studio Château d’Hérouville ein. Anfänglich läuft alles rund. Doch dann beginnt ein Fiasko, das beinah im Desaster endet: Das Quintett muss nicht nur verkraften, dass es gemeinsam in einem recht spartanischen Schlafraum nächtigen muss, sondern auch, dass die Betten völlig verwanzt sind. Doch der Albtraum geht noch weiter: Nachdem sich die Band dank nachlässiges Inhouse-Caterings kollektiv eine üble Nahrungsmittelvergiftung zugezogen hat, häufen sich auch noch technische Probleme. Kurzerhand setzen Jethro Tull die Aufnahmen im Londoner Morgan Studio fort, ohne das bislang entstandene Material zu berücksichtigen.
Binnen neun Tagen bis zum nächsten Tourneestart hauen sie A PASSION PLAY raus. Eine krude Story über Ronnie Pilgrim, einen Toten, der, nachdem er an der eigenen Beerdigung als Geistwesen teilgenommen hat, im Jenseits einen spirituellen Reinigungsprozess durchläuft, erst in den Himmel auffährt, dann einen Antrag auf Aufenthalt in der Hölle stellt, um schließlich festzustellen, dass er weder das Eine noch das Andere mag. Eine psychologisch-philosophische Achterbahnfahrt um den Sinn menschlichen Daseins und um die uralte Frage nach Gut und Böse.
A PASSION PLAY (EXTENDED PERFORMANCE) umfasst samt Buch ein ganzes Bündel an Extras: Auf zwei CDs sammeln sich das Original sowie die 15 Songs der Sessions von Château d’Hérouville, beides remixt von Steven Wilson. Auf den zwei DVDs findet sich das gesamte Material im ebenfalls von Wilson vorgenommenen Mix im 5.1 Surround-Sound sowie ein Videoclip, der einst auf der Konzerttournee gezeigt wurde. Zudem liegt der neue Stereomix auch auf 180g schwerem Vinyl vor.
Verleger: Island/Universal
Künstler: Jethro Tull
Album: A PASSION PLAY (EXTENDED PERFORMANCE)
Tschüß
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