[REVIEW] Joni Mitchell - Blue (1971)

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SOON
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[REVIEW] Joni Mitchell - Blue (1971)

Beitrag von SOON »

Es gibt Alben, die müssen eigentlich nicht mehr vorgestellt werden aber die Begeisterung hält mich einfach nicht davon ab immer wieder davon zu sprechen/schreiben.
BLUE von Joni Mitchell ist ein solches Album.
Seit der Veröffentlichung im Jahr 1971 existiert das Album unabhängig von Zeit und Raum.
So ein Album, das sich anfühlt, als wäre es schon immer da gewesen und von dem man sicher ist, dass es immer da sein wird.
Und jetzt, ein halbes Jahrhundert nach seiner ursprünglichen Veröffentlichung, klingt es, als wäre es gestern aufgenommen worden.

Viele nennen BLUE ein extrem persönliches Album.
Sich mit Jonis Liedern zu beschäftigen die von Depressionen und anderen drastischen Lebensereignissen handeln, kann sehr ergreifend sein.
Wenn es eine Sache gibt, die die Mythenbildung rund um dieses Album charakterisiert, dann ist es die Diskussion darüber, an wen die Songs adressiert sind.
Graham Nash? James Taylor? Leonard Cohen sogar?
Das ist eigentlich die falsche Diskussion, es spielt überhaupt keine Rolle.
Denn was Mitchell auf BLUE großartig macht, ist Gefühle aufzunehmen, sie zu kanalisieren und sie durch diese großartigen Songs der Welt zu schenken.
Songs für die die Autorin auf erschreckend offene und ehrliche Weise auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen hat, die das Hören von BLUE zu einer sehr persönlichen Erfahrung für den Zuhörer macht.

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Nehmen wir zum Beispiel den Titeltrack, der einen an der Kehle packt und der Klavierpart Hackfleisch aus deiner Seele macht.
Fast jeder Satz kann auf vielfältige Weise erklärt werden.
Singt sie es einer Person namens Blue vor? Oder singt sie hier über einen Geisteszustand? Es kann auch nur ein Stift sein, mit dem sie schreibt:
"Acid, booze, and ass, needles, guns, and grass",bei dem es darum gehen kann, dass jemand abrutscht, oder ganz allgemein um das Ende des Hippie-Traums?
Die Stärke des Songs und das ist beispielhaft für das gesamte Album ist, dass er durch die verschiedenen Interpretationen, mit dem Leben des Hörers wächst.
In deinen dunkelsten Momenten fühlt sich BLUE an wie eine Depression.
In Momenten einer schwierigen Lebensphase ist BLUE da, um diese Gefühle zu kanalisieren, was auch für die Mehrheit der anderen Songs gilt.
Zum Beispiel ist "A Case Of You" ein wunderschönes Liebeslied, aber auch ein Spiegelbild der bitteren Erkenntnis, dass manche Menschen nicht gut für dich sind, obwohl du nicht ohne sie auskommst.
Little Green, geschrieben über ihre Tochter, die zur Adoption freigegeben wurde, packt dich auch ohne dieses Wissen an der Kehle.

Komplexität und Dualität stecken in allen Songs von daher kann BLUE als musikalisches Kunstwerk bezeichnet werden, dass die Probleme der Menschen einfängt.
Auf hohe und hoffnungsvolle Erwartungen an das Leben folgen im Opener "All I Want" der Schmerz, den Menschen einander antun können(So you too, then we both get so blue)
Es ist so nachvollziehbar, dass das Hören von BLUE sich anfühlt, als würde Joni dir einen schmutzigen Spiegel vorhalten, indem du dich bald selber erkennst.

Songs sind wie Tattoos, singt Mitchell im Titeltrack und man könnte das nicht treffender beschreiben, denn gute Musik geht wie ein Tattoo unter die Haut und nie mehr weg.
Da kannst du bürsten und schrubben wie du willst, es bleibt dir permanent in Erinnerung.
BLUE verschwindet nie wieder aus deinem Leben wenn du die Scheibe einmal verinnerlicht hast.
Sobald es seinen Weg in dein Leben gefunden hat, geht es nie wieder weg.

Seite 1
All I Want – 3:32
My Old Man – 3:33
Little Green – 3:25
Carey – 3:00
Blue – 3:00

Seite 2
California – 3:48
This Flight Tonight – 2:50
River – 4:00
A Case of You – 4:20
The Last Time I Saw Richard – 4:13

Veröffentlichung: 22. Juni 1971

Besetzung:
Joni Mitchell – Gesang, Gitarre, Piano, Dulcimer
Stephen Stills – Gitarre, Bass
James Taylor – Gitarre
Russ Kunkel – Schlagzeug
Sneaky Pete Kleinow – Pedal-Steel-Gitarre

Produktion:
Joni Mitchell

Studio:
A&M Studios, Hollywood

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Topographic
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Re: [REVIEW] Joni Mitchell - Blue (1971)

Beitrag von Topographic »

SOON hat geschrieben: Fr 15. Apr 2022, 22:02
Nehmen wir zum Beispiel den Titeltrack, der einen an der Kehle packt und der Klavierpart Hackfleisch aus deiner Seele macht.
Ich liebe deine Sprache! Danke für diese Rezi, ich muss gestehen, Joni Mitchell begegnete mir in den vergangenen Jahren vor allem als dramatisches Objekt in "Love actually". Ihre Musik ist aus einer anderen Zeit und - für mich - lange vergessen. "Blue" gibt es auf Spotify momentan nicht, ich hab die CD bestellt und werde deiner Rezi demnächst das Klang- und Texterlebnis hinzufügen.
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SOON
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Re: [REVIEW] Joni Mitchell - Blue (1971)

Beitrag von SOON »

Freut mich, dass meine Schwurbeleien anregend wirken.
Dann hat sich die Mühe voll gelohnt!
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JJG
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Re: [REVIEW] Joni Mitchell - Blue (1971)

Beitrag von JJG »

Vielen Dank Soon, mit Joni bin ich wenig vertraut. Laila Biali, ebenfalls Kanadierin, hat gestern „A Case of You“ gecovert und Joni als große Inspiration bezeichnet. Es gab auch noch „Woodstock“ als Hommage. Das Album kenne ich noch nicht, sie hatte ja selbst Pat Metheny und Lyle Mays in ihrer Begleitband. Danke für die Inspiration, das Album kommt auf meine Merkliste für den nächsten Besuch im Plattenladen.
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