[REVIEW] Refugee - Refugee (1974)

feat. Moraz
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Max
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[REVIEW] Refugee - Refugee (1974)

Beitrag von Max »

Refugee - Refugee

1. Papillon (Patrick Moraz) 5'12
2. Someday (Patrick Moraz/Lee Jackson) 5'07

3. Grand Canyon Suite (Refugee) 16'58
a) The Source (0'00-2'24)
b) Theme for The Canyon (2'25-5'30)
c) The Journey (5'31-9'30)
d) Rapids (9'31-12'42)
e) The Mighty Colorado (12'43-16'58)

4. Ritt Mickley (Patrick Moraz) 6'00
a) Gatecrasher (0'00-1'01)
b) Ritt Mickley (1'02-6'00)

5. Credo (Refugee) 18'25
a) Prelude (0'00-4'30)
b) I Believe Pt. 1 (4'31-5'25)
c) Theme (5'26-7'09)
d) The Lost Cause (7'10-10'57)
e) Agitato (10'58-12'43)
f) I Believe Pt. 2 (12'44-13'44)
g) Variation (13'45-15'42)
h) Main Theme Finale (15'43-18'25)

Rezension:
1974 kam Refugees erstes und einziges Studioalbum heraus - eine mit 50 Minuten recht lange Einzel-LP und sehr viel guter Musik, vollgestopft mit kreativen Ideen.
Bevor Patrick Moraz, der Keyboarder von Yes 1974 bis 1976, zu Yes kam, war er der Frontmann der Band Refugee.
Der Schlagzeuger Brian Davison und Sänger/Bassist Lee Jackson sind in der Prog-Szene schon durch ihre Arbeit bei The Nice bekannt geworden und hatten mit dieser Band, die auch Keith Emerson (später ELP) an den Keyboards enthielt, einige Erfolge und sind hier nun auch dabei.
Auf dem Debütalbum und offiziell letzten Album von Refugee zeigt sich die Gruppe deutlich symphonischer als ihr weitaus erfolgreicheres Pendant ELP. Patrick Moraz nutzte zusätzlich zum Moog, dem Flügel und der Hammondorgel auch vermehrt das Klavinett, das Mellotron, den ARP Preset-Synthesizer, ein E-Piano, die Kirchenorgel und sonstiges Schlagwerk, bisweilen auch ein Alphorn.

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Bereits der Opener "Papillon" ist eine proggige Delikatesse, die eindeutig das Werk von Keyboarder Patrick Moraz ist. Hier spielt er sämtliche Tasteninstrumente, Synthesizer, im Untergrund eine Hammondorgel, da wieder eine schwebende Mellotronpassage, barocke Klavierlinien, mit einem fabelhaften, knochentrockenen Bass und IMO ziemlich dünnem Schlagzeug - das liegt allerdings an der Abmischung, das Schlagzeugspiel selbst ist sicher, schnell und kräftig. Dann kommen psychedelische Bassklänge (die durch Bedienen des Basses mit einem
Geigenbogen erzeugt werden), ein Synthesizer surrt im Hintergrund - ein progressiver, kreativer, treibender Leckerbissen. Schön gemacht!
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Someday entstand als Kooperation von Moraz und Jackson. Für mich ist das Lied ein überflüssiger Track - mit viel zu viel Text (eine wütende Anklage an Jackson's Ex-Freundin) und nicht sehr überzeugenden Keyboards. Außerdem singt Jackson hier schlechter als je zuvor - er sagte in einem Interview, das Lied sei sehr schwer zu singen gewesen. Aber wenn das der Fall ist, hätte er es lieber gelassen. Zwar gibt es hier recht viel Mellotron und eine schöne Hammondorgel, was das Lied allerdings nicht retten kann. Skip, schade...
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Mit Grand Canyon gibt es allerdings einen 16minütigen Longtrack, der durchaus eine Konkurrenz zu den Yes-Longtracks ist.
Die Einleitung, The Source ist eine atmosphärische, schwebende Keyboardimprovisation mit sanftem Bass, sehnsüchtigen Synthesizern und einer wabernden Hammondorgel - eine ruhige, geniale Einleitung.
Theme for the Canyon, das zweite Movement des Liedes, greift das oriental angehauchte Hauptthema des Tracks auf, der sich wie ein roter Faden durch den epischen Longtrack zieht. Die eher simple Melodie wird hier bombastisch mit viel Schlagzeug, dezentem Bass und diversen Tasteninstrumenten aufbereitet.
Nach einem virtuosen Flügelsolo beginnt das dritte Movement, der Gesangsteil The Journey. Zuerst singt Jackson sanft zu einem leisen Bass und romantischem Klavier. So einen guten Gesang von Jackson hört man nur auf diesem Album. Dann kommt ein schwebendes Mellotron, Akustikgitarrenakkorde, ein paar sphärische Synthesizer und ein kantiges Schlagzeug dazu. Nach einem sehnsüchtigen Synthesizersolo holt Herr Jackson nocheinmal tief Luft und singt nocheinmal den Refrain. Ein Highlight der Platte! Um auf den Text zu kommen: Jackson stellt dar, wie er in einem Traum durch den Grand Canyon fliegt. Auch eine gute Idee... :gut:
Der nächste Teil, das vierte Movement, The Rapids, ist sehr kantig und entwickelt sich aus perkussiven Schlägen von Hammond, Bass und Drums, die zuerst weit voneinander entfernt sind aber dann immer näher und schneller kommen. Jeder Schlag sitzt genau - zwischen Bass, Schlagzeug und Keyboards gibt es keine Verzögerung. Das ganze entwickelt sich nach kurzer Zeit zu einem schnellen Teil, der aus schnellen Bassläufen und viel Keyboards besteht.
Danach zitiert Moraz die ELP-Version von "Rondo" und greift das "Theme for the Canyon" neu auf, diesmal mit treibendem
Rhythmus. Hier merkt man, dass man als Rhythmussektion die Menschen dabei hat, die 1967 Keith Emerson bei dem Progmeisterwerk "Rondo" begleitet haben. Diese Stelle nennt sich The mighty Colorado. Bombastisch wird das Lied mit viel Mellotron ausgeleitet - bis es nach sechzehn kurzweiligen Minuten wieder in der Stille endet, mit der es 16 Minuten zuvor angefangen hat.
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Nun wird es wieder instrumental: der Titel von Ritt Mickley entstand dadurch, dass Moraz Jackson gesagt hat er soll das Stück "Ritt Mickley" spielen... dass er "Rhythmically" meinte, stellte sich erst später heraus :p . Zuerst bekommt man eine Synthesizerspielerei von Moraz zu hören - und ein Klangexperiment von Brian Davison, der hier Glas zerbrechen lässt und diesen Klang nachträglich berarbeitet. Der Teil wird häufig als Gatecrasher bezeichnet. Das Lied selber ist recht funkig gehalten, mit lässigen Drums, druckvollem Bass und entspanntem Synthesizer - und funkigem Clavichord. Der fanfarenartige, barocke Zwischenteil ist auf jeden Fall meisterhaft. Auch hier spielt der Bass höchstspektakuläre Basslinien. Wären sie etwas lauter, würden sie im Vergleich zu Chris Squire
keinen großen Unterschied zeigen.
Nach dieser eher "chilligen" Angelegenheit wird es nun wieder spannend...
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Der zweite Longtrack, Credo ist sogar 18 Minuten lang - und ebenso spannend wie "Grand Canyon".
Der Anfangsteil nennt sich Prelude.
Nach einer furiosen Flügeleinleitung kommt ein mit Flange versehtes Mellotron. Melancholische Synthesizerakkorde kommen nun auch dazu, ebenso wie wild wabernde Timpanis. Man fühlt sich wie bei einer Beerdigung... jetzt wird es aber nicht romantisch oder emotional... nach einem Frage-Antwort-Spiel zwischen Flügel und Mellotron/Schlagzeug/Bass kommt der skurille Teil
I Believe Pt.1: Lee Jackson brüllt einen eigenartigen Text durch ein Effektgerät und wird von dissonantem Bass, schnellem Schlagzeug und Synthesizerclusters begleitet. Ich kann nicht entscheiden ob es mir gefällt oder nicht - auf jeden Fall gehört es dazu. Das dauert allerdings nur höchstens eine Minute, dann kommt ein düsteres Synthesizersolo (namens Theme), dann kommt bombastische Kirchenorgel, die Kirchenorgel der St. Albans Cathedral, wie man in den Liner Notes erfährt.
Mit The Lost Cause wird es recht emotional - hier wird Lee Jackson's genialer Gesang zunächst von Kirchenorgel, dann von Hammond, Bass und Schlagzeug begleitet. Das ganze ähnelt "The Journey", dem 3. Movement der "Grand Canyon Suite" - und ist genauso genial. Danach kommt auch noch ein Flügel dazu, und der soliert danach - effekttriefend - brilliant mit Vokalisationen Jacksons unterlegt, man ist beim Klimax des Albums angelangt, für mich ein Schlüsselmoment der Proggeschichte - das "Soon" von Refugee.
Leider ist das ganze schnell vorbei und wird von einem schnellen, dissonanten Part, Agitato, abgelöst. Dazu trommelt das Schlagzeug, der Bass setzt wilde, schnelle Linien dazu. Die witzigen Gitarrensynthesizer kommen dann auch noch dazu, bevor das ganze in eine Reprise von "I Believe" übergeht, diesmal I Believe Pt.2 genannt - diesmal noch aggressiver als zuvor. Hier gefällt mir der Teil sogar sehr gut... nach diabolischem Gelächer (wieder eine nette Klangspielerei), kommt die Variation und unmittelbar nachher das Main Theme Finale: sanftes, aber perkussives E-Piano und fiepende Synthesizer, weiterhin mit schnellem Rhythmus. Bevor das ganze allerdings zu Ende geht, geht es nach einem kurzen Break mit der Basslinie von "Sombrero Sam" weiter - und endet nach einem kurzen Zitat des "Credo"-Themas recht abrupt.
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Freunde des leicht jazzigen, vertrackten Keyboardstils von Moraz (wie auf "Gates of Delirium") werden mit dem Album ihre helle Freude haben, auch wenn der Sänger Lee Jackson bekanntlich eine sehr raue Stimme hat. Bis auf den Fast-Sprechgesang in der Ballade "Someday" stört dies aber nirgends, da hier recht wenig gesungen wird und er ansonsten das (leider, aufgesetzte) Schmirgelpapier von seinen Stimmbändern nimmt.

Highlights sind die beiden Epen "Grand Canyon", eher symphonisch-bombastisch mit schönen Klangflächen, und "Credo", ein eher klavierdominierter Longtrack, die beide herrliche Balladenteile enthalten, in denen Jackson wohl seine besten Gesangsparts ablieferte und Moraz auch wunderbare Soli hinlegte.

Die solide, verspielte Rhythmusarbeit von Davison und Jackson, die man auch schon von Nice-Klassikern wie "Rondo" oder "Ars Longa Vita Brevis" kennt, treibt die Band an und verhindert immer wieder, dass die Musik zu keyboardlastig und tranig wird.

Instrumentalstücke wie "Papillon" bieten ELP ernstzunehmende Konkurrenz, wobei die schwirrenden Synthesizer von Moraz immer wieder eine ganz eigene Note in die Musik bringen - ebenso wie "Ritt Mickley", das zwischen lässig-funkigem Geklimpere und hymnischem Sympho-Prog balanciert.

Ohne zu zögern kriegt das Album die Vollpunktzahl, trotz des einen Ausrutschers.
Die höchste Punktzahl kriegen natürlich die beiden Longtracks, sagen wir ein "++".
"Papillon" und "Ritt Mickley" sind solide Prognummern, die ein "+" verdienen. "Someday" hat als missglückte Ballade ein "-" einzustecken. Trotzdem ist das Album sehr empfehlenswert - essentiell für Progfans.
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SOON
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Re: Refugee - Refugee (1974)

Beitrag von SOON »

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nixe
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Re: Refugee - Refugee (1974)

Beitrag von nixe »

& wieder THX an Autor: Max! & an Soony, der dafür gesorgt hat, das es nicht verloren geht & vergessen wird!
Ich selbst besitze dieses Album & weiß, wovon hier gesprochen wird. Zudem habe ich auch live in concert (Newcastle City Hall), das ich auch empfehlen kann!!!
track-list:
01 - Ritt Mickley
02 - One left handed Peter Pan
03 - The Diamond hard blue Apples of the Moon
04 - Someday
05 - Papillon
06 - She belongs to me
07 - Grand Canyon Suite
08 - Refugee Jam
Bild
Tschüß
nixe

Musik hat die Fähigkeit uns geistig, körperlich & emotional zu beeinflussen!

!!!I like Prog!!!

!!!Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten!!!
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