Ein Album und (m)eine Geschichte

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Aprilfrost
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Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von Aprilfrost »

Der Teemeister schrieb vorhin an anderer Stelle, wie er an einem Silvestertag zu Steve Hacketts "Spectral Mornings" gekommen ist. (@Teemeister: kannst Du den Beitrag hierher kopieren?) Bestimmt hat jeder von Euch Erinnerungen daran, wie bestimmte Alben in Eure Hände gekommen sind. Erzählt mal!
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Aprilfrost
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von Aprilfrost »

Es war die Nacht vom 7. auf den 8. April 1977. Und es war kalt.
Mein alter Kumpel Michael und ich hatten die spontane Idee,
alte Freunde im Norden Schleswig-Holsteins zu besuchen, die wir zuletzt
vor einem Jahr gesehen hatten. Jung waren wir damals, und die Freunde
wohnten noch bei ihren Eltern. Unser Geld reichte zwar fürs Benzin,
aber ein Hotel lag jenseits des für uns Denkbaren. Irgendwo würden wir schon unterkommen.
Doch wir hatten die Rechnung ohne die spießigen Eltern der Freunde gemacht.
Übernachten? Bei uns? Nee! Nicht bei den Einen, nicht bei den Anderen. Und nun?
Der Abend kam, der Schnee fiel, die Straßen vereisten. Zweihundert Kilometer
nach Hause fahren? Nicht bei dem Wetter. Wir fragten dann doch mal in einer
billig aussehenden Herberge. Aber für Schüler oder Azubis war selbst die zu teuer.
Also suchten wir uns einen warmen Ort, wo man sich ein paar Stunden lang an
einer Cola festhalten kann. Die Wahl traf auf die Diskothek "Scotch" in Schleswig.
Es war nicht so übermäßig viel los, weil Karfreitag war, und der "Scotch" zwar öffnen
durfte, aber die Auflage hatte, dass an diesem kirchlichen Feiertag nicht getanzt
werden darf. Der Diskjockey legte eine Langrille nach der anderen auf. Tubular Bells
war dabei, etwas von Led Zeppelin, und dann ertönte eine Musik, die wir nie zuvor
gehört hatten. Nach einem Instrumental-Vorspiel kam irgendwas mit "Nevermore".
Auch die nächsten Stücke fanden wir ziemlich gut. Also gingen wir zum DJ und fragten,
was er da auf dem Plattenteller hat. Der gute Mann war ganz begeistert, dass wir fragten
und zeigte uns sofort das Cover (hübsch bebildert und betextet) und sagte: Schreibt Euch
das ab! Der lange Titel war auch kaum zu merken: Tales of Mystery and Imagination
Edgar Allan Poe von einem Alan Parsons Project. Um uns glücklich zu machen, spielte
der DJ auch noch die zweite Seite.
Irgendwann schloss auch das "Scotch". Uns blieb nichts übrig, als in einer Seitenstraße
in Michis altem VW Käfer zu schlafen. Erfroren sind wir nicht, weil wir hin und wieder den
Motor laufen ließen. Aber lustig war es auch wieder nicht. Vormittags sind wir noch mal zu
den Freunden, und auf der Rückfahrt war uns beiden glasklar, welches Album wir uns als
nächstes zulegen würden. Was wir dann auch sofort erledigten. Wenig später konnten wir
unsere "Peergroup" überzeugen, und die LP wurde ein gefragter Artikel im platten Norden.


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Der Teemeister
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von Der Teemeister »

Na gut, zieh ich sie rüber. Sehr interessant, Frosty - ich liebe
diese Ost/West - Vergleichs-Anekdoten. Man, haben wir alle
Silvester nichts zu tun? Wir lassen es halt knallen - mit Geschichten.
Die "Tales" mag ich auch. Ein leider schon verstorbener Freund
entdeckte sie beim Zimmergenossen seines Studentenheims,
ein zwei Jahre nach Dir. Selbstredend konnte ich auch daran,
äh, partizipieren. Ein DDR-Tonband kostete aber immerhin 35,-
Ostmark; war schon recht viel, wenn Du z.B. 600,- "raus" hattest.
4 Scheiben gingen drauf; zwei auf "Kennband rot"; zwei auf
"Kennband grün".



Am Silvestermorgen 1983 (oder war es 82?) fuhr ich mit der Straßenbahn-Linie 4
quer durch Leipzig, von Kleinzschocher nach Stötteritz, weil dort ein Typ wohnte,
der Steve Hackett`s "Spectral Mornings" auf Spulentonband haben würde. Jener
Typ hatte auf meine Anfrage durch einen gemeinsamen Freund zugestimmt, dass
ich mir das Band überspielen könnte, wenn ich mit meiner Bandmaschine am
Silvestervormittag (einzig übereinstimmender freier Termin) zu ihm kommen würde,
und dafür "Defector" zum Überspielen mitbringen könnte. Welch eine Freude! Zur "
Findung" dieses Termins hatte er all die Monate seit dem Sommer gebraucht; all die
Zeit wußte ich: dort, am Ende von Leipzig, wohnt jemand, der "Spectral Mornings" hat;
und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich daran partizipieren kann. Natürlich stimmte ich
zu, packte das betreffende Band ein, und begab mich in klirrender Kälte, blaue Wrangler-
Hosen und -Jacke unter grüner Parka nebst schneeosmosefördernden braunen
Wildlederschuhen (für sowas wie Winterschuhe; Handschuhe, Mütze, Schaals und Winter-
oder Pelzjacken hatten wir damals nichts als Verachtung) an die Straßenbahnhaltestelle
"Adler", um nach 20minütiger Wartezeit in einem der beiden ungeheizten Anhänger Platz
zu nehmen (beheizt waren damals nur die Triebwagen, welche man mit einem bespielten
Tonband wegen der eventuellen magnetischen Irritationen der Spulen der Straßenbahn
besser mied).

10 Minuten Hinweg nach knapper Stunde Fahrzeit. Der Typ war auch wirklich Zuhause
(Festnetz hatten nur die wenigsten, zumeist Privilegierten, Handys waren Zukunftsvision).
Alles schon erlebt: Das jemand "ja ja" sagte, und dann nicht da war - besonders die
langhaarigen Blues-Kunden. Der Typ war wie ich damals Anfang Zwanzig und hatte eine
Glatze (meine lag noch in Lauerstellung). Teekochen, Aufwärmen, bißchen Quatschen, und
los ging's - mit meiner Initialzündung, sprich: "Ersthörung" der "Spectral Mornings" (Hören
und Überspielen war ein Vorgang). Es war eine Offenbarung. Eine der besten Platten, die ich
bis dato hörte - oder auch danach, bis heute, muß ich sagen. Passend zu den imitierten 1.
Weltkriegs-Klängen des Titels "Tigermoth" wurden auf den Straßen die ersten Knaller von den
humanoiden Knallern gezündet, was gleichzeitig meine erste Feldstudie in "Ambient" werden
sollte: Musik "saugt" die Geräusche der Umgebung auf; assimiliert jene gleichsam, und macht
sie sich "klangkörpereigen" - und wirkt somit entspannend. Oft wußte ich nicht: Ist das nun
bei Hackett, oder spielt da die ganze Straße mit. Silvester als Ergänzung der Musik? Strange!

Da anschließend auf seinem Band die "Genesis Live" kam, bat ich ihn, das Band doch
weiterlaufen zu lassen, denn die hatte ich auch noch nicht. Obgleich skeptisch auf die
Uhr blickend (er war mit seiner Freundin für den späten Nachmittag verabredet) realisierte
er meinen Wunsch. Wir tranken mehr Tee, redeten über Genesis, über die Schallplattenläden
in Budapest, über Urlaube, und dergleichen mehr.

Dann war er mit seiner Belohnung dran - ich legte also das Band mit "Defector" ein; er spulte
sich den vorbereiteten Platz Band zur Löschung auf einem bereits bespielten Band heran, und
stellte auf "Wartestellung-Aufnahme". Anschließend das gleiche in Braun: Bei mir erklang
" ...And Then There Were Three ..." nach "Defector", und diesmal bat er mich, das Band
laufen zu lassen, denn die Scheibe würde ihm fehlen; und obgleich sie nicht wirklich gut war
... na, ihr wisst schon: muß man sie haben. Allein; er verlor wieder Zeit dabei, den "platzmäßig"
war er (tonbandmäßig) auf eine weitere Scheibe von mir nicht eingerichtet - er kratzte sich
die Restbehaarung, und überlegte, was er wohl, - und auf welchem Band -, noch löschen könne.

ORWO-Magnet-Tonbänder waren teuer, - nicht immer hatte man die 30,- Ostlappen dafür übrig.
Schließlich kam er zu einer Entscheidung; löschte wohl naturgemäß etwas, dass seiner Freundin
wichtig war, - denke ich. Wir verständigten uns über die Koinzidenz der Kargheit der Jahreszeit
Winter, welche co-agierte mit der Kargheit der Instrumentierung dieser Scheibe; freuten uns
aber an der winterlichen Innigkeit von Titeln wie "Snowbound" oder "Undertow". Bezüglich des
Termins mit seiner Freundin legte er seine Stirn in Falten, und ging -zögernd- zu Rotwein über.

Es hatte etwas Unwirkliches, Magisches: Draussen tobten all die Verrückten Knall-Köpfe mit
ihren Knall-Körpern, in einer Hand die Bierflasche, in der anderen die Kippe und die Knaller-
Schachtel, und wir tranken Earl Grey und schwelgten in Genesis und Hackett. Danach fuhr ich
heim, begeistert über den nunmehrigen Besitz dieser wunderbaren "Spectral Mornings".
Obgleich ich lieber Zuhause geblieben wäre, um diese beiden Scheiben (die andere - wir
erinnern uns - war "Genesis Live") wieder und wieder zu hören, ging ich, aus Freundschaft,
Tradition, und dem Wunsch, dort vielleicht einer weiblichen Ergänzung zu begegnen, zur
Silvesterfeier meines Schulfreundes "Frosch" (unserem Überspiel-Vermittler). Selbstverständlich
geschah mir dort dahingehend gar nichts - nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil mein Hirn
ständig die Klänge von "Every Day" oder "The Virgin And The Gypsy" rekapitulierte. Die ganze
Zeit über blieb ich nüchtern, geistesabwesend, und fieberte nach jenen neugewonnenen Klängen;
Silvester war mir nicht erst seit jenem Tag völlig Schnuppe. Seither feiere ich die Begegnung mit
"Spectral Mornings" durch alljährliches, ritualisiertes Hören am Silvestertag - so auch heute.
Wenn mir so ist (und vorhin war dem so) lege ich "Defector" und "Genesis Live" noch nach.
Und niemand stört mich dabei. Kein Wunder; denn Glück ist die Abwesenheit von Unglück.

Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte genau jener Typ gewesen sein, welcher mir das Yes-
Konzert 2003 auf der Parkbühne damit versaute, dass er, - vor mir stehend -, seiner Freundin
einen Regenschirm aufspannte, und ich Wakeman nicht mehr sah. Bis ich mich entschied, den
Platz zu wechseln (statt ihn in die Notaufnahme, und mich auf's Polizeirevier zu bringen). Der
Feingeist namens Jon auf der Bühne (sensibel für solche Irritationen) schaute auch schon immer
besorgt in meine Richtung ...
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colonyslipperman
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von colonyslipperman »

...danke für die schönen Erinnerungen....
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SOON
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von SOON »

wunderbare Geschichten!
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number nine
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von number nine »

Großartig, Teemeister!
Hate takes a lot of energy - and i'm savin' mine up for all the good shit that's comin' my way 'cause i'm a good person and i deserve good shit in my life.
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olias1
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von olias1 »

Aprilfrost hat geschrieben:Es war die Nacht vom 7. auf den 8. April 1977. ... Also gingen wir zum DJ und fragten, was er da auf dem Plattenteller hat. Der gute Mann war ganz begeistert, dass wir fragten und zeigte uns sofort das Cover (hübsch bebildert und betextet) und sagte: Schreibt Euch das ab! Der lange Titel war auch kaum zu merken: Tales of Mystery and Imagination
Edgar Allan Poe von einem Alan Parsons Project. ...
Auch ich hörte diese Scheibe in einer Disko. Auch mein DJ war begeistert und zeigte mir das Cover. Und ich: "Oh, ich sollte mir die Platten die ich kaufe genauer anhören." Ich hatte sie gerade am Nachmittag dieses Tages gekauft.

:D
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olias1
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von olias1 »

Close To The Edge (oder wie alles mit Yes begann)

Als ich mir meinen ersten Cassettenrecorder kaufte (Philips) hatte ich zwar damit die Hardware aber leider keine Software dazu. Ich war zwölf und hatte keine Ahnung wie ich an Musik rankommen sollte ohne sie mit dem eingebauten Mikrofon aufzunehmen. Mein fünf Jahre älterer Bruder hat dies für mich übernommen und hat bei einigen Freunden Musik auf zwei Tapes überspielt. Diese Tapes spielte ich ewig rauf und runter, ohne zu wissen wer das oder was das war. Nein es war nicht Yes, es war das erste Album von ELP und ich glaube Jethro Tull war auch was drunter.

Jahre später kam ich dann bei der Diskussion über genau dieses ELP Album in Kontakt mit einem späteren Freund. Wir standen in einem Plattenladen und er schwärmte von der "Close To The Edge". Die Platte die ich eigentlich kaufen wollte (ELP - Tarkus) hatte der Laden gerade nicht, also habe ich kurz entschlossen ohne die Platte zu spielen die "CTTE" gekauft.

Eine oder zwei Wochen später kam ein anderer Freund zu mir und wir spielten Schach. Nebenbei habe ich Musik gespielt. Ich habe nach zwei anderen Scheiben die CTTE aufgelegt, gleich mit dem Hinweis "Ich habe keine Ahnung wie die ist!" Dabei habe ich deutlich meine Skepsis der Marke "Mach mir bloß keinen Vorwurf wenn die Schrott ist" erkennen lassen.
Nach dem Durchlauf der ersten Seite => "Na ja ist so lala".
Aber das Schachspiel wurde gerade hitziger und um nicht zu sehr abgelenkt zu sein habe ich einfach die "So lala" Platte draufgelassen und immer wieder gespielt.
2 x "Ja nicht sooooo übel aber ..."
3 x "Ist OK"
4 x "Hey die ist ganz gut"
5 x "Klingt gut"
6 x "Die ist eigentlich super"
usw.

Am Ende des Schachspiels hatte Yes zwei Fans mehr.
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SOON
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Re: Ein Album und (m)eine Geschichte

Beitrag von SOON »

stimmt schon, YES gehen nicht gut ins Ohr, da braucht man schon einige Durchläufe.
Ich habe mich damals ziemlich mühsam durch Yessongs gequält.
Komischerweise hat bei mir Tfto sofort gezündet.
MAKE PROG NOT WAR ! ---> ---> My 2024 Album Faves
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