YESSONGS (1973)

veröffentlicht: 18.05.1973

Jon Anderson
Chris Squire
Bill Bruford
Steve Howe
Rick Wakeman
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JJG
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YESSONGS (1973)

Beitrag von JJG »

Wenn es einen Prototyp für ein opulentes Live-Werk in der Rockmusik gibt, dann ist das unzweifelhaft das Dreifach-Album „YESSONGS“.
Dieses Werk hat inzwischen 40 Jahre auf dem Buckel und es setzt immer noch Maßstäbe.

YESSONGS:

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Für YES war es das erste Live-Album. Die einzelnen Mitglieder fanden sich 1972/73 fast durchgängig an den Spitzenpositionen der Musikercharts
und das Album glänzte bei den Bewertungen. Tatsächlich war auch keine andere Band des anspruchsvollen Kunstrocks, zu diesem Zeitpunkt, in
der Lage 6 LP-Seiten mit musikalischen Werken auf diesem hohen Niveau zu füllen, nein auch nicht Pink Floyd oder Genesis, vielleicht mit der
Ausnahme von Emerson, Lake and Palmer.

Bevor hier bei den geneigten Fans der genannten Bands das Adrenalin aufsteigt, ich spreche hier von WERKEN, also nicht von schönen Stücken,
die sich auf Blues-Patterns begründen, die als 3-Akkord-Songs am Lagefeuer gespielt werden können, die psychedelische Trips an den Instrumenten
sind, oder von den wundervoll balladesken Kleinoden. Auch diese sind allesamt anspruchsvoll, aber eben keine OPERA!

Den Plattenfirmen sind/waren solche Gesamtkunstwerke wie YESSONGS immer ein Graus gewesen, denn sie boten kein gutes Preis-
Leistungsverhältnis für die Musikindustrie, wohl aber für den Fan. Viel Material in Form von Vinyl, Plattentaschen, Innenhüllen, zusätzliche Booklets
und kostenintensive Designs und Fotos. Natürlich kann man diese dann auch nicht für einen Preis von 3 LPs verkaufen. Trotzdem setzten YES diese
Veröffentlichung durch.

Wenn man in die Setlisten der damaligen YES-Konzerte schaut, dann könnte man diese Werkschau noch auf eine vierte Scheibe ausdehnen, denn
Songs wie „South Side of the Sky“ oder progressive Frühwerke wie „Astral Traveller“ und „Survival“ hätten gut noch die siebte und die Cover
„America“ und „Is it Love“ noch eine achte Seite gefüllt. Welch ein Schreck für Mitkonkurrenten.

Auch wenn sich die Produktion der Livestücke damals fast am höchsten Mitschnitt-Niveau orientierte, so muss man, nach vier Dekaden betrachtet,
doch Abstriche machen. Es wäre in puncto Klang und Abmischung des Albums mehr drin gewesen. Bis heute ist es auch unverständlich, warum man
keine offiziell und in allen Ländern überarbeitete Version zum 40. Geburtstag anbietet. Kaufinteressenten gibt es dafür (noch) immer.

YESSONGS erschien erstmalig am 27. April 1973 und veröffentlicht Mitschnitte der Fragile-Tour (jene mit Bill Bruford)und der Close-To-The-Edge-Tour
(jene mit Alan White)und somit der bis dato drei letzten Studio-Alben. Für die Zuhörer kein leichter Tobak, denn kaum ein Stück lag unter der
magischen 10-Minuten-Grenze.

Für Alan White war es das erste Output mit YES. Alan war zwar durch seine Mitgliedschaft bei Lennons Plastic Ono Band bekannt und hatte diverse
Musiker auf Touren begleitet, war ein beliebter Studio-Musiker, konnte aber keine Band wirklich seine Heimat nennen. Vielleicht ist das auch der
Hauptgrund warum er YES nie wieder verlassen sollte. Auf YESSONGS spielt er bei fast allen Stücken mit und verlieh den Songs einen härteren
Klang als es sein Vorgänger Bruford tat. Letzterer darf aber mit dem Schlagzeug-Solo auf „Perpetual Change“ glänzen, was eine Hommage darstellt.
Auch wenn Bill Bruford, laut eigenen Aussagen, den Weggang von YES nie bereut hat, so wird er in Bezug auf Kreativität und Einfluss auf die Rock-
und Jazzmusik kaum mit einer anderen Band mehr in Verbindung gebracht, als mit YES. Auch wenn er wesentlich länger bei King Crimson getrommelt
hat, so setzt er sich in Interviews und anderen eigenen Publikationen hauptsächlich mit seiner ersten wirklich musikalischen Heimat auseinander.
Das spricht Bände.

Für Steve Howe ist YESSONGS wohl die höchste Auszeichnung seiner musikalischen Laufbahn. Kein anderer Musiker innerhalb der Band hat, in
wenigen Monaten, seine Fähigkeiten so entwickelt wie der Gitarrist. Damals stand an den Wänden der einschlägigen Clubs „Clapton is God“,
aber Mr. Slowhands Kreativität (an der Gitarre) war zu diesem Zeitpunkt schon lange auf dem absteigenden Ast und der kleine Howe hatte den Blues-Meister
schon um Längen überholt. Und das genoss Stephen sichtlich. Auch innerhalb der Band hatte er sich gemeinsam mit Anderson zum kompositorischen
Haupt-Duo entwickelt und nahm diesbezüglich immer mehr die Fäden in die Hand.

Der zweite, unangefochten bejubelte Instrumentalist, Rick Wakeman schob sich ebenfalls an die Spitze der Musiker im Weltmaßstab. Wakeman
wurde zum stärksten Konkurrenten von Keith Emerson, sowohl in Bezug auf technische und kompositorische Fähigkeiten, als auch in punkto
Extrovertiertheit. Spiegel, Keyboardtürme, Glitzermantel, güldenes Haar, atemberaubende Läufe und Duelle mit dem Gitarristen sind das
Markenzeichen von Mr. „Wakeup“. Seine Solos sind Highlight und Werkschau der neuesten Instrumente des Keyboard-Marktes. So konnte es
auch keinen besseren Zeitpunkt geben, denn sein Solo-Album „The Six Wives of Henry VIII“ erschien gerade 3 Monate früher. Auf Yessongs stellt
er daraus einen Ausschnitt vor.

Chris Squire war als Bassist schon länger in aller Munde, schon in frühen Konzerten war man über die Dominanz und Selbständigkeit seines Bassspiels
erstaunt. Mit seinem Solo konnte auch er, hier, mit Unterstützung von Bruford, glänzen.

Jon Anderson war zu Zeiten der Yessongs die unangfochtene #1 bei Yes. Von ihm stammten die meisten Konzepte, Kompositionen, er hatte die
Visionen und lenkte die Band in die Richtung, die er anstrebte. Das hatte nicht immer den gewünschten Erfolg, wie man am nächsten Studio-Album
„Tales from Topographic Oceans“ sieht. Dennoch beruht dieser hauptsächlich auf seinen Künsten.

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Bis heute wurden die meisten Yes-Konzerte mit dem Finale von Igor Strawinskys „Feuervogel-Suite“ eröffnet. Majestätisch wird eine spannende
Grundstimmung erzeugt und die Fans wissen, dass sich diese in den Gitarrenriffen von „Siberian Khatru“ entlädt. Treibend, komplex und über allem
die Stimme von Anderson schwebend, bringt dieser Song nach wenigen Sekunden das Bandgefüge zum Kochen und endet im fulminanten Duell
zwischen Keyboarder und Gitarrist.

Nach Jons Ankündigung „Heart of the Sunrise“ dürfen bereits Alan und Chris das Ruder in die Hand nehmen und sich austoben. Bis heute ist dieser
Song ein Höhepunkt der Yes-Konzerte.

Seite zwei des Dreifachalbums beginnt wiederum mit Akkorden, nämlich derer von „Perpetual Change“ und nicht nur symptomatisch für die
Lineupwechsel , nein auch für die Wandlungsfähigkeit der Strukturen, Tempi und Stimmungen bei Yes und das in mehrfacher Hinsicht.

Es folgt „And You and I“, welches in der elektrischen Version präsentiert wird. Steve lässt sich ein Intro auf der Steel-Guitar einfallen und lässt den
Song unwirtlicher klingen, als die Fassung auf „Close to the Edge“. Wenn es ein Markenzeichen für Yes gibt und ein Stück, welches die Musik dieser
Band am besten beschreibt, dann wohl diese Mini-Suite.

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Die dritte Seite bringt dann etwas Entspannung und Steves Solo „Mood for a Day“. Auch hier gilt, wenn es ein Stück gibt, welches Mr. Guitar beschreiben
kann, dann diese Melodie von Steve. Mich freut besonders, dass er die Frau, für die ihn dafür inspirierte, immer noch an seiner Seite ist. Hier spielt er
dieses Stück aber auf einer Gitarre, die, entgegen des Originals auf „Fragile“, metallsaitig bestückt ist.

Kann man auch 18jährige für Instrumente und Musik begeistern, die 40 Jahre alt ist? – YES!!! So geschehen vor ein paar Wochen, als sich mein Sohn
einen Synthesizer zulegte und er bei seinen eigenen Stücken Electro mit Retro-Sounds kombinierte. Ich spielte ihm dann den Ausschnitt von Ricks
„Six Wives“ vor, welcher das Live-Meisterwerk meiner Lieblingsband ziert. Er war nicht nur von den Klängen, sondern auch von den Läufen von Mr.
Wakeman begeistert und bewertete diese als atemberaubend. Mit Freuden erklärte er mir die hohe Kunst, wie Rick diese Musik technisch erzeugt.

Beendet wird die dritte Seite dann von „Roundabout“, auch in einer elektrischen Version. Auch wenn dieser Song nicht zu den Wunschstücken der
Fans gehört, ist ein Konzert ohne diese „Zugabe“, kaum denkbar.

Seite Numero 4 ist dann wieder den Gitarrensaiten und den kürzeren Stücken vorbehalten. Der Doppelsong „Your Move/All good People“ alias
„I’ve seen all good People” bringt wieder mehr Rhythmus und Swing auf das Album. „Long Distance Runaround“ offeriert Jons glasklaren Gesang
und Chris entlädt die Töne der Bassgitarre indem er eine (Ent-)Spannung wie bei gutem Sex erzeugt.

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Seite fünf ist dann dem Meisterwerk des progressiven Rocks vorbehalten. In dieses Werk legen die Musiker der Band noch mehr Noten, als in die Studio-
Version des gleichnamigen Albums: „Close to the Edge“. Im den Schlussteil greifen dann auch Instrumente ein, die in der Studio-Fassung nicht zu hören
sind. Vor allem Rick ändert die Klänge der Keyboards, in dem er Synthesizer verwendet, die die Original- Orgelsounds ersetzen. Nicht immer zum Vorteil
für den Song.

Schlusspunkt und Seite sechs sind mit dem Anti-Kriegslied und dessen harten Akkorden und Riffs gefüllt. Steve spielt hier sämtliche Gitarristen an die
Wand und zeigt, dass man Solos nicht nur im Gewand von jeweils Jazz oder Rock spielen kann, sondern diese auch fusionieren kann. „Yours is no Disgrace“!

Die Band hebt mit „Starship Trooper“ schlussendlich in außerirdischen Sphären ab. Jon darf sich in Visionen beweisen, Alan und Chris bieten ein
Rhythmusgeflecht und Rick und Steve lassen ihre Duelle in das Weltall abheben.

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Was für ein Meisterwerk, das durch das herausragende Artwork von Roger Dean formvollendet wird. Das von ihm geschaffene visuelle Konglomerat aus
irdischem Licht, surrealistischen Welten und Fauna und Flora besticht, die die Welt in uns und um uns bestehen lässt.
"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

Saaldorf
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Aprilfrost
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Re: Album der Woche: YESSONGS (Vö: 27.04.1973)

Beitrag von Aprilfrost »

Herzlichen Dank für diese tolle Würdigung des - wie ich finde - fantastischsten und bisher nicht wieder erreichten Live-Albums. Vielleicht wäre ich ohne YESSONGS gar nicht Fan dieser Band geworden. Jedenfalls war es für mich das Portal, die Eingangshalle und der Thronsaal in einem. Ich erinnere mich nicht mehr genau, in welchem Jahr ich es kennen lernte. Ich glaube es war 1976 (oder 1975). Jedenfalls war es Sommer, und mein Kumpel Michi nahm mich auf dem Gepäckträger seines Fahrrads mit zu sich nach Hause und sagte: "Ich hab da ein Live-Album, das mußt Du unbedingt hören!" Er spielte mir erst Seite 1 und dann Seite 3 vor. Interessant, dass ich mich nach so langer Zeit noch so genau daran erinnere. Es war ein Magic Moment, eine Offenbarung, und wie gesagt, mein Einstieg ins Yes-Universum.
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SOON
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Re: Album der Woche: YESSONGS (Vö: 27.04.1973)

Beitrag von SOON »

Vielen Dank für diese tolle Besprechung, JJG!
Ein Meisterwerk, ja ein Kunstwerk, dass bis heute Maßstäbe in Sachen Live-Platten setzt.
Der Reiz, dieses Album zu kaufen war, für mich, eigentlich das Cover.
1985......von 90125 begeistert, wurde ich von dieser komischen Mukke ziemlich enttäuscht.
Schon krass wie sich der Sound in nur 10 Jahren gewandelt hatte.
Mit der Zeit erschloss ich mir jedoch ein Track nach dem anderen.
Zuerst AYAI, dann den Anfang von Perpetual Change...
...und heute ist Yessongs eins der 5 besten Live-Alben überhaupt.

Hier meine Einschätzung aus dem RS:
Side one
1. Opening (Excerpt from Firebird Suite) (Igor Stravinsky) 3:47 -> .-.
2. Siberian Khatru (Jon Anderson, Steve Howe, Rick Wakeman) 9:03 -> ****1/2
3. Heart of the Sunrise (Anderson, Bill Bruford, Chris Squire) 11:33 -> *****

Side two
1. Perpetual Change (Anderson, Squire) 14:12 -> ****1/2
2. And You and I (Anderson, Bruford, Howe, Squire) 9:33 -> *****
I. Cord of Life
II. Eclipse
III. The Preacher the Teacher
IV. Apocalypse


Side three
1. Mood for a Day (Howe) 2:53 -> ****
2. Excerpts from The Six Wives of Henry VIII (Wakeman) 6:37 -> ****
3. Roundabout (Anderson, Howe) 8:33 -> *****

Side four
1. I've Seen All Good People (Anderson, Squire) 7:09 -> *****
Your Move(Anderson)
All Good People (Squire)

2. Long Distance Runaround/The Fish (Schindleria Praematurus) (Anderson, Squire) 13:37 -> *****

Side five
1. Close to the Edge (Anderson, Howe) 18:13 -> *****
I. The Solid Time of Change
II. Total Mass Retain
III. I Get Up I Get Down"
IV. Seasons of Man


Side six
1. Yours Is No Disgrace (Anderson, Bruford, Howe, Tony Kaye, Squire) 14:23 -> *****
2. Starship Trooper 10:08 -> *****
I. Life Seeker" (Anderson)
II. Disillusion (Squire)
III. Würm (Howe)


4,75 -> *****
MAKE PROG NOT WAR ! ---> ---> My 2024 Album Faves

Fragile
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Re: Album der Woche: YESSONGS (Vö: 27.04.1973)

Beitrag von Fragile »

Auch von mir allerbesten Dank für die tolle Vorstellung eines großen Liveklassikers. Ich denke, die nächsten beiden Abende werde ich dieses Album zum runden Jubiläum mal wieder öfters in den Player legen, habe es auch schon ewig nicht mehr gehört und in den letzten Wochen stand ja das ebenfalls runde "Dark Side"-Jubiläum bei mir im Vordergrund.

Apropos "Dark Side": Pink Floyd hätte ich Mitte der 70er schon ein solches Mehrfach-Album zugetraut, wenn sie vielleicht "Ummagumma" als einzelnes Studioalbum belassen hätten und die Aufnahmen von 1969 mit Aufnahmen der "British Winter Tour" ("Dark Side" komplett, "Echoes", dazu die frühen Versionen von "Shine On You Crazy Diamond", "Dogs" und "Sheep") von Ende 1974 kombiniert hätten. Gilmour, Waters und Co. bedauern das wohl bis heute selbst, dass sie damals nicht sowas veröffentlicht haben und auch so gut wie nichts haben filmen lassen.
He's seen too much of life,
and there's no going back...
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