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Joachim 'Eroc' Ehrig
In diesem Jahr feiern wir den 40. Geburtstag der Gruppe GROBSCHNITT, einer Band, die zu den Pionieren deutscher Rockmusik gehört. Diverse Alben und unzählige, großartige Kompositionen hat diese Band der Musikwelt hinterlassen. Für mich ist Grobschnitt eine Musikgruppe, die verdammt viele Parallelen zur Stern-Combo Meißen aufweist. Man wird das Gefühl nicht los, als spiegle sich so manches in beiden Bands wider. Sei es die Lust an experimenteller Musik, sei es der Anspruch, den die Musik hat, seien es die bandinternen Probleme, seien es die beiden großen Kreativen (auf der einen Seite EROC, auf der anderen Seite Thomas Kurzhals) oder der Schritt Anfang der 80er, in eine kommerziellere Richtung zu gehen - Grobschnitt und die SCM verbinden viele Gemeinsamkeiten, die dem aufmerksamen Leser im Verlauf des folgenden Interviews sicher auffallen werden. Was die eine Band (SCM) schon vor 7 Jahren feierte, liegt in diesem Jahr bei Grobschnitt an: der 40. Bandgeburtstag! Genau der richtige Anlass, eine der wichtigsten Personen der Gruppe zu uns einzuladen: Joachim 'EROC' Ehrig!
Er ist Bandgründer und war lange Jahre die Seele der Gruppe, der Motor und die Kreativabteilung in einem. Auch abseits der großen Kapelle machte sich der Musiker einen Namen als Solist, Produzent und in heutigen Tagen als "Master of Remastering". Daher kennen auch viele audiophile Musikfreunde den Namen EROC, weil er unter anderem alte Aufnahmen aufpoliert und den bestmöglichen Hörgenuss herausholt. Der Mann aus Hagen hat eine bewegte Karriere hinter sich, dadurch viel zu erzählen und irgendwie ist sicher jeder unserer Leser, der eine CD- oder Plattensammlung sein Eigen nennt, schon irgendwann einmal mit Erocs Arbeit in Berührung gekommen. Was Eroc mit Renft, Christiane Ufholz, den Inchtabokatables und Phillip Boa zu tun hat, warum man ihn zuletzt auch wieder mal live auf einer Bühne sehen konnte und was es sonst noch Wissenswertes über ihn und die Kultband Grobschnitt gibt, erfahrt Ihr jetzt in dem folgenden Interview...
In Deiner Vita habe ich gelesen, dass Du gebürtig aus Weimar stammst. Hast Du noch einen Bezug zu Deiner Heimatstadt?
Ich bin im Alter von vier Jahren aus Weimar weggezogen - in Klammern "worden". Wir sind nach dem plötzlichen Tod meines Vaters aus der "Ostzone" nach Oberhausen umgesiedelt und ich hatte seitdem überhaupt keinen Bezug mehr zur Heimatstadt. Ich bin danach nie wieder da gewesen. Jedoch gab es dort noch eine Tante und einen Onkel, mit denen ständiger Briefwechsel stattfand. Nach dem Fall der Mauer kam die Tante auch mal hier rüber zu Besuch. Ich bin erst vor drei Jahren mit meiner Familie zum ersten Mal nach Weimar gefahren und habe mir das Städtchen angeschaut. Nach 53 Jahren habe ich meine Vaterstadt wiedergesehen und übrigens auch den alten Onkel, der mich herzlich empfangen hat mit den Worten: "Nu Mensch, Du hast Dich ja gar nicht verändert. Du bist nur ein Stückchen größer geworden." (lacht)
Du hast es gerade gesagt: Es hat Dich und Deine Familie Mitte der 50er ins Ruhrgebiet, zuerst nach Oberhausen, dann nach Hagen geführt. Warum ausgerechnet hierher?
Das hatte familiäre Gründe, weil ein Teil unserer Verwandtschaft bereits in Oberhausen wohnte. Dadurch hatten wir dort eine Anlaufstelle. 1960 heiratete meine Mutter dann erneut und weil mein Stiefvater in Hagen arbeitete und es da wesentlich schöner und sauberer als in Oberhausen war, zogen wir dort hin.
Ich habe ferner gelesen, dass Du den Beruf des Chemielaboranten erlernt hast. War eine professionelle Musikerkarriere zuerst gar nicht geplant?
Natürlich war die geplant! Wenn Du als Schüler Deine erste Band gründest, willst Du natürlich auch irgendwann Profimusiker sein. Aber da gibt's ja immer noch die Eltern, nicht wahr? Mein guter, alter Stiefvater sagte: "Pass mal auf, das mit Deiner Musik ist ja toll, aber wenn das mal in die Hose geht, solltest Du einen richtigen Beruf in der Hand haben." - Ich meine, diesen Spruch hört sicher jeder Jugendliche in dem Alter. Und da ich immer ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Stiefvater hatte, habe ich auch zugestimmt und gesagt: "Pass auf, Alter, Du hast Recht. Natürlich ist das mit der Musik toll, aber ich gehe auch in die Lehre, lerne was Praktisches und dann gucken wir mal, was am Ende dabei rauskommt." Das ist dann tatsächlich auch so passiert. Ich habe die Lehre incl. Berufsschule, Fachoberschule und was dazu gehörte abgeschlossen und in dem Beruf noch ein halbes Jahr gearbeitet. Dabei habe ich mir auch mein erstes richtiges Geld für mein erstes richtig großes Tonbandgerät verdient. Aber als die Lehre vorbei war und es auf den Ingenieur zuging, hatte sich gleichzeitig auch schon die Musik so weit entwickelt, dass wir im Jahre 1971 für die Aufnahmen zu unserer ersten Langspielplatte bereit standen. Und da entschloss ich mich halt für den Sprung ins kalte Wasser. Den Beruf hatte ich in der Tasche, aber die Musik bereitete so viel Hoffnung und Freude, dass ich mich erst mal vollends darauf stürzte. Und das ist bis heute so geblieben.
Wann fing das mit der Musik bei Dir an? Was war der erste Kontakt mit Musik, und wann hast Du erstmals in einer Band gespielt?
Das kann ich Dir ganz genau sagen: Mein erster Kontakt mit der Musik wurde "verschuldet" durch eine Frau Keller. Frau Keller war eine Arbeitskollegin meiner Mutter in Oberhausen und machte den großen "Fehler", mir ihr altes Radiogerät zu schenken. Ich war damals gerade 7 Jahre alt, hatte plötzlich einen riesengroßen AEG Röhrenempfänger im Zimmer stehen und hörte als erstes, nachdem ich ihn angemacht hatte, das Stück "My Little Sheila" von Tommy Roe und fragte mich, wo da in dem Kasten die Musik passierte. Ich guckte hinten rein, aber da waren keine kleinen Männchen die spielten, sondern nur so komische Glasbirnchen, die rot leuchteten (lacht). Das war mir alles sehr suspekt. In diesem Moment fing mein Interesse für Technik an und auch mein Interesse für Musik, denn der Kasten dudelte dann jeden Tag und spielte die Rockabilly-Nummern, die damals Mitte und Ende der 50er so angesagt waren.
Um die Ecke hatten wir auch so eine Kneipe, wo jeden Samstag Tanz war. Da trafen sich die Jungs und Mädels mit ihren Motorrollern und -rädern in verrückter Kleidung und machten laute Musik da drin. Das war für uns kleine Dötze natürlich ganz, ganz toll. Wir durften da zwar nicht rein, aber wir konnten von draußen schon mal zugucken und auch mit denen reden. Das zog sich dann ganz zielbewusst weiter. Ich beschäftigte mich intensiv mit Rundfunkempfängern und -technik und wünschte mir 1960 von meinen Eltern ein Tonbandgerät. Und das bekam ich dann auch. Ich hatte im Alter von 9 Jahren also meine erste "Schaub Lorenz" Viertelspur-Maschine und konnte loslegen und vom Radio und auch sonst so durch die Gegend aufnehmen. Das machte mir so viel Spaß, dass ich mir ein Jahr später ein zweites Tonbandgerät wünschte. Mein Stiefvater sagte zu mir: "Du bist verrückt", aber er schaffte es irgendwie und schenkte mir tatsächlich auch das zweite Gerät, das gleiche wie das erste: ein Schaub-Lorenz SL-100. Zusammen mit dem Radio von der Kellerin und ein paar Mikrofonen, Antennen und alten Lautsprechern hatte ich also schon eine recht beachtliche technische Ausrüstung. Im Sommer 1960 siedelten wir nach Hagen über. Dort kam ich in die Realschule. In der Schulklasse protzte man als junger Mensch natürlich mit allem, was man besaß. Der eine hatte einen Plattenspieler, der andere ein Kofferradio und auch Tonbandgeräte waren damals gar nicht so selten. Die meisten hatten dieses kleine Grundig TK 125 und nahmen damit ihre Lieblingssongs vom Radio auf. Ich war der einzige, der zwei exklusivere Tonbandgeräte sein eigen nannte und konnte damit auch Tonbänder kopieren. Das war natürlich eine tolle Sache, weil man dadurch Aufnahmen verdoppeln und an die Freunde weitergeben konnte. Ich betrieb also bereits 1961 ein kleines Tonstudio für meine Schulkameraden.
Also gab's damals schon das, was heute neudeutsch "Filesharing" genannt wird...
Ja, natürlich! Filesharing betrieb ich damals allerdings auch noch auf eine andere, ganz besondere Art, nämlich als ich im Alter von 13 Jahren meinen ersten Piratensender baute und dann für die komplette Innenstadt von Hagen und alle meine Schulkameraden Programm machte und dabei die neuesten Hits von Platte und Tonband dudelte. Das war erstklassige "File-Verbreitung" auf UKW, weshalb mich die Deutsche Bundespost mit ihren Peilwagen auch mehr als einmal jagte, aber niemals erwischte.
Klar, dass man, wenn man mit Radios und Tonbändern rum hext, natürlich mit der Musik befasst ist. Ich habe alles von Anfang der 60er an mitgemacht, als die Beatles und die Rolling Stones aufkamen, auch die vielen Bands, die es schon davor und danach gab. Wer weiß denn z.B. heute noch, dass es bereits 1963 eine englische Gruppe namens "The Scorpions" und 1967 eine amerikanische Band namens "Nirvana" gab? Ich kannte die schon damals und habe heute noch Platten von denen. Es ging bei mir mit der Musik also sehr früh los und mündete recht bald auch in das aktive Musizieren. Zunächst spielte ich 1963 im Wohnzimmer mit einem Klassenkameraden namens Roland Biermann, der eine Klarinette besaß und auch Unterricht für dieses Instrument bekam, Jazz-Nummern von Mr. Acker Bilk, Chris Barber und Fats Waller. Ich trommelte dabei mit Kochlöffeln auf Plastikeimern, Waschwannen und einem echten Schlagzeugbecken von Quelle, das mir meine Eltern zu Weihnachten geschenkt hatten. Später kam dann auf jeder Schule plötzlich irgendeiner mit einer echten E-Gitarre an. In meinem Fall hieß derjenige Gerd Otto Kühn, genannt "Lupo", war eine Klasse über uns und brachte das Ding in die Schule mit. Auf dem Pausenhof war das natürlich Gegenstand der absoluten Bewunderung. "Lupo" selbst war nicht so ganz der absolute "Oberschüler", deswegen blieb er sitzen und landete mitsamt seiner Gitarre 1964 in unserer Klasse. Da ich in Englisch gut war, weil ich im Radio Soldatensender wie AFN, BFBS oder Radio CAE hörte, wurde "Lupo" neben mich gesetzt. Er war schlecht in Englisch, also musste ich ihm helfen. Ich hingegen war nicht besonders gut in Mathe, deshalb half er mir dabei. Darin war er besser. Er konnte schon immer gut rechnen, der alte Gauner, darum war er später bei Grobschnitt ja auch unser Manager (lacht). So freundeten "Lupo" und ich uns an. Dabei entstand die Idee, eine Schülerband zu gründen. Das waren die Ur-Ur-Anfänge. Aktiv ging es ca. 1965 los und 1966 spielten wir bereits kleinere Auftritte für Geld - ich mit 15 Jahren der jüngste Schlagzeuger in ganz Hagen. Ab 1967 bestritten wir an den Wochenenden schon regelmäßig Tanz- und Beatabende, und es ging mit der Musik richtig ab.
Wo hattest Du Dein erstes Schlagzeug her?
Das erste Schlagzeug habe ich 1965 in einem Hagener Musikladen gekauft. Das war ein gebrauchtes Instrument von einer anderen Hagener Beat Band, die nannte sich "The Enormous Immigrations". Deren Trommler hatte das verkauft und sich ein neues zugelegt. Sein altes stand dann als gebrauchtes Modell im Schaufenster für 300,- DM und war von der englischen Marke "Premier". Mein damaliges Vorbild Keith Moon von THE WHO spielte das auch und darum war ich natürlich ganz stolz, als ich selbst so ein Premier nach Hause tragen konnte. D.h. nicht nach Hause, sondern in unseren Übungsraum, der sich damals in einem Kirchturm befand.
Im Jahre 1971, heißt es, habt Ihr dann die Gruppe Grobschnitt gegründet. Die aktuelle Besetzung von Grobschnitt hat im letzten oder vorletzten Jahr aber schon das 40. Jubiläum gefeiert. Was stimmt denn nun?
(lacht) Es stimmt einiges und es stimmt einiges nicht. Grobschnitt ist seit 1989 nicht mehr aktiv, denn im Dezember jenen Jahres wurde das letzte Konzert gegeben und die Gruppe danach endgültig aufgelöst. Es gibt also keine "aktuelle Besetzung", denn das würde ja voraussetzen, dass die Band durchgängig mit wechselnden Besetzungen weiter bestanden hätte. Es gibt auch keine Reunion, denn das würde bedingen, dass man hierfür jeden, noch greifbaren Musiker der Urbesetzung angesprochen bzw. sich die Ur-Besetzung an einen Tisch gesetzt hätte. Das ist nie passiert. Es gab allerdings vor einigen Jahren eine Berliner Revival-Band namens "Romix", die unsere Stücke Rockpommel's Land, Solar Music und andere sehr gut nachspielten. Davor gab es für kurze Zeit eine andere Revival-Band namens "Razzia", die Toni Moff Mollo ins Leben gerufen hatte. Derzeit gibt es auch wieder eine Revival-Band, die aus einem Hobby-Projekt entstand. Das geht auf einen der früheren Bassisten, Milla Kapolke, zurück, der vor drei Jahren anfing, mit seinen Söhnen zum Spaß am Wochenende Grobschnittmusik im heimischen Wohnzimmer aufleben zu lassen. Glücklicherweise stießen dann später Wildschwein, der ehemalige Sänger von uns und auch Rolf Möller, Schlagzeuger der letzten Phase aus den 80ern dazu. Da sich das Ganze gut anließ, sagten sie sich: "Wir versuchen mal, das öffentlich zu präsentieren." Zunächst stand jedoch kein Name für diese Band fest. Ich persönlich hätte das Unternehmen treffenderweise "Kinder & Narren" genannt, aber der Name "Grobschnitt" ist natürlich zugkräftiger und war angesichts der Besetzung auch nicht so ganz von der Hand zu weisen. So hat sich die Sache mehr und mehr verselbstständigt. Auch Dank vieler Fans, die das zum Teil - und ich sage bewusst "zum Teil" - euphorisch aufnahmen und sagten: "Hey, wir können jetzt wieder 'Rockpommel's Land' und 'Solar Music' live hören." Ich selbst stehe diesem Projekt gar nicht so negativ gegenüber, wie oft vermutet wird. Aber in dem Zuge sind doch einige Sachen falsch verstanden worden. Der Slogan "40 Jahre Grobschnitt" passte werbemäßig ganz gut und darum hat man sich offenbar gesagt: "Na ja, die Band wurde Anfang der 70er gegründet. 2010 ist das dann ca. 40 Jahre her, das wäre doch ein zugkräftiger Aufhänger für unser Projekt." Das ist jedoch sachlich falsch. 1970 war Grobschnitt noch lange nicht in Sicht. Da war gerade mal die Crew vorbei und Lupo plante seine eigene Band "Charing Cross". Erst Anfang 1971 fanden wir uns dann zusammen, nannten uns aber längst noch nicht "Grobschnitt". Das kam später und ist nun mal eine unumstößliche Tatsache.
Um die Missverständnisse mit der neuen Revival-Band aus der Welt zu schaffen, traf ich mich kürzlich dann mit Wildschwein. Wir legten unsere Standpunkte auf den Tisch, sprachen uns ganz entspannt aus und einigten uns. Er betreibt die neue Revival-Band weiter und ich veröffentliche weiter meine alten Mitschnitte. Unsere gemeinsame Vergangenheit war einfach viel zu großartig und wir haben so viele, tolle Jahre miteinander verbracht, da soll auf die alten Tage kein Streit entstehen.
Wie kam es überhaupt dazu, dass diese Band gegründet wurde und wer gehörte zur ersten Besetzung?
Aufgebrochen sind wir 1965 zunächst als "The Universals". Im Sommer 1966 fiel mir dann der Name "The Crew" für unsere Band ein. Von da an waren auch schon drei der späteren Grobschnitt-Mitglieder dabei: Lupo der Gitarrist, Wildschwein der Sänger und ich am Schlagzeug. Wir drei blieben bis Ende 1969 der Stamm der Crew und spielten fleißig Beat, Soul und Underground mit wechselnden Bassisten und Keyboardern. Im Oktober '69 hatten wir unseren letzten Auftritt in Hagen und beschlossen ein paar Wochen später, auseinander zu gehen. Wir waren einfach zu wild, zu verrückt, zu bekloppt, zu extrem geworden - wir hassten uns wie die Pest, wir liebten uns wie die Pest - es waren keine reinen Musikauftritte, sondern echte Happenings, die wir veranstalteten. Die Bühnen brannten schon Ende der 60er. Das hatte aber noch nichts mit Grobschnitt zu tun. Danach tat jeder das, was er wollte. Wildschwein brachte seine Ausbildung als Steueranwärter zu Ende, Lupo wurde Industriekaufmann und versuchte mit einem Bassisten namens Bernhard Uhlemann, genannt "Baer" und einem Schlagzeuger namens Axel Harlos, genannt "Felix", etwas auf die Beine zu stellen. Ich machte zu der Zeit Free-Jazz, u.a. mit dem Wuppertaler Gitarristen Hans Reichel und anderen interessanten Leuten. 1970 war sozusagen ein Experimentier-Jahr für alle. Lupo war dann der erste, der mit Baer und Felix unter "Charing Cross" wieder konsequent auf die Bühnen stieg, heftig loslegte und ziemlich harte Sachen präsentierte, die beim Publikum gut ankamen. Ich traf mich Ende '70 mit Wildschwein, wollte ihn für meine Free-Jazz-Ideen gewinnen, aber das passte ihm nicht so ganz. Dann haben wir überlegt, was wir machen könnten und beschlossen, uns wieder mit Lupo zusammen zu tun. Das war der Grundgedanke. Lupo war ein guter Gitarrist, Lupo war ein cleverer Geschäftsmann, ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, er wurde geliebt und gehasst, aber er war einfach unumgänglich in unserer Vaterstadt Hagen, die auch durch ihre Kessellage dafür bekannt ist, Sachen gründlich aus zu brüten. Man hatte in Hagen kaum Kontakte zu anderen Städten und Musikszenen. Hagen war immer eine Art Kochtopf, deswegen: wenn man einen Gitarristen brauchte, gab es nicht viel Auswahl. Also überlegten Wildschwein und ich uns auch irgendwie gezwungenermaßen, ob wir uns nicht doch wieder mit Lupo zusammen tun sollten. Lupo war grundsätzlich einverstanden, gab aber zu bedenken, er habe ja noch den Bassisten und den Drummer. Ich meinte dann: "Warum soll man die beiden fallen lassen? Wir nehmen sie einfach mit ins Boot, dann haben wir halt zwei Schlagzeuger. Das wäre doch mal was ganz Irres!" Schließlich hatten Amon Düül das auch zu jener Zeit. Also fingen wir Anfang 1971 zu fünft an: "Baer" am Bass, "Lupo" an der Gitarre, "Wildschwein" als Sänger und "Felix" und ich jeweils am Schlagzeug. Und wir übernahmen Lupos Namen "Charing Cross" für diese Besetzung.
Wer kam auf die Idee für den Bandnamen Grobschnitt?
Wie gesagt, wir spielten seit ca. Februar '71 unter dem Namen "Charing Cross". Es gab und gibt sogar noch Plakate und auch Zeitungsartikel aus dieser Zeit, als wir unter diesem Namen in Jugendheimen und Diskotheken aufgetreten sind. Wir hatten zudem den Luxus eines wahnsinnig guten Übungsraums, denn wir konnten in einer Schulaula mit Bühne üben. Schon seit 1969 hatten wir diese Aula. Da konnten wir Krach machen und professionell aufbauen. Wenn man in einer Schulaula probt, bleibt das natürlich nicht unbemerkt. Es gab immer mal wieder Leute, die zuguckten und zuhörten und zwei ganz hartnäckige Stammgäste kamen fast jeden Abend. Einer davon war etwas klein von Gestalt, der andere etwas größer. Der Kleine hieß dann irgendwann "Der kleine Mann". Er und sein Freund kamen immer öfter vorbei. Sie halfen mit beim Aufbauen, guckten dabei hinter die Bühne, wie das alles geht und wurden dadurch zu unseren ersten beiden Roadies. "Der kleine Mann" wurde später bekannt als "Toni Moff Mollo" und blieb bis zum Ende der Band im Dezember 1989 dabei. Derzeit macht er auch wieder in der oben erwähnten Revival-Band mit. Der andere mit dem Spitznamen "John McPorneaux" blieb vier Jahre dabei und stieg dann aus beruflichen Gründen aus. Toni Moff Mollo brachte eines Tages ein Foto von der Band seines Großvaters mit und da begann die legendäre Geschichte um unseren Bandnamen. Auf dem Bild sieht man zehn Herren in Soldatenuniformen. Vor ihnen steht ein Schild mit der Aufschrift "Kapelle Grobschnitt, Neujahr 1916" und die Männer haben Mundharmonikas und zu Instrumenten umgebaute Besenstiele in der Hand. Ich denke, die werden damals auf Hochzeiten und Festivitäten ganz gut los geschrammelt haben. Das Foto ging rum und ich sagte: "Wow, das ist ja unglaublich! 1916 war ja noch Steinzeit, aber die Jungs hatten schon eine Band und Spaß dabei. Und überhaupt: 'Grobschnitt'?! Was bedeutet das denn, hat das was mit Tabak zu tun?" "Nö, nö", meinte Toni, "als Grobschnitt bezeichnet man in Hagen eher einen Haufen von Rabauken. Nicht immer ganz fein, aber immer herzlich", womit man auch die Mentalität der Westfalen trefflich beschreibt. Diese alten "Grobschnitts" schienen sehr rau, westfälisch und herzlich, was auch prima auf unsere Band zutraf. Ich sagte: "Das ist doch mal ein Name. 'Charing Cross' klingt so englisch und wir sind doch sowieso nicht englisch. Grobschnitt klingt viel besser!" Tja, und wie meine westfälischen Mitstreiter nun mal so waren: "Was willst'n mit der Scheisse? 'Grobschnitt', das ist doch kein Name für 'ne heutige Band! Putz Dir das von der Backe!" Ich habe aber weiter gequengelt und genervt und irgendwann fand Toni den Namen auch passend. Daraufhin hab ich gesagt: "Wir können uns ja auch 'Kapelle Elias Grobschnitt' nennen. Das ist noch viel bekloppter". Und da sagte der "Baer", unser Bassist: "Ja, das ist völlig genial!" Irgendwie hat man sich dann darauf ein geschaukelt, dass der Name originell sei und ja auch einen historischen Hintergrund hat. Und so ging's dann als "Kapelle Elias Grobschnitt" ab Mai 1971 mit uns weiter.
Ein weiteres witziges Detail ist, dass Ihr nur unter Pseudonymen aufgetreten seid. Welchen Hintergrund hatte das?
Keinen besonderen. "Lupo" hieß in der Schule schon "Lupo", weil er eine glänzende Nase hatte und gerne "Fix und Foxi" las. Damals hatten die meisten einen Spitznamen. Mit seinem Vornamen wurde kaum einer angesprochen. In den 60ern war es in der Schule üblich, die Kinder mit ihrem Nachnamen anzusprechen. Wenn einer z.B. Klaus Schulze hieß, sagte der Lehrer immer nur "Schulze". Vornamen wurden ignoriert bzw. blieben für die Eltern reserviert. Deswegen riefen wir uns untereinander meist auch nur "Schulze", "Meier" oder "Müller". Das war aber auf die Dauer irgendwie blöd und ging zu sehr mit den Lehrern konform, gegen die man ja sein musste, wenn man "in" sein wollte. Deshalb bildeten sich mehr oder weniger passende Spitznamen heraus. Ich mit meinem richtigen Nachnamen Ehrig hieß in der Beat-Zeit z.B. "Eric". Das klang englisch und wichtig und war ein sehr exklusiver Spitzname. Toni brachte irgendwann zur Bandprobe mal eine silberne Tabaksdose mit. Die hatte er auf der Straße aufgelesen und auf der war "Toni" eingraviert. Schon hatte er seinen Namen weg. Oder der "Baer" - wenn du den damals gesehen hättest... der sah aus wie einer: 1,90 groß, 100 Kilo Lebendgewicht und spielte mit Handschuhen Bass. Er war halt ein Bär! Dazu kam sein Vorname Bernhard, davon ist das auch noch abgeleitet. Diese Namen hatten sich zum großen Teil viel früher entwickelt und sind dann zu Grobschnitt mit rüber genommen worden. Spitznamen waren einfach lustiger und so hat man sie beibehalten. Bürgerliche Namen sind sowieso besser für Beamte, nicht für Musiker... (lacht).
Stimmt es wenn ich sage, dass ohne Dich Grobschnitt in der Form gar nicht möglich gewesen wäre? Immerhin warst Du da praktisch der Tausendsasse, also Toningenieur, Soundbastler und Produzent... alles in einem...
Grobschnitt wäre ohne jeden einzelnen von uns nicht möglich gewesen. Aber so gesehen hast Du schon Recht. Ich habe vielen Bereichen meinen Stempel aufgedrückt, das ist richtig. Die anderen waren immer gute Handwerker an ihren Instrumenten. Aber was so ein bisschen die Message und das Erscheinungsbild anbetrifft... Auch die Songtexte stammten zunächst von mir. Einfach auch aus dem profanen Grund, weil ich der einzige war, der gut Englisch konnte. Am Anfang wurde Englisch gesungen und da hieß es immer: "Mach mal, schreib mal einen guten Text." Die anderen konnten das halt nicht. So hat sich das entwickelt. Und mein Faible für Technik habe ich ja bereits erläutert. Das konnte ich bei der Band bestens einsetzen. Die ersten Anlagen, die wir bei Grobschnitt hatten, habe ich selbst gebaut. Die Boxen hatte ich zusammengezimmert mit Stichsäge, Leim und Lautsprechern. Da wurden große rote Schränke erschaffen, die größten Boxen, die Hagen bis dahin gesehen hatte (lacht). Die Verstärker wurden zum Teil aus verschiedenen Elementen zusammengestrickt. Es war sehr viel Selbstgebautes, mit Herz und Liebe gefertigtes Equipment. Auch unsere ersten Lichtanlagen hatte ich entwickelt und gebaut, wobei mir später auch Toni Moff Mollo ein guter Assistent war.
Die erste Platte mit Grobschnitt habt Ihr im Jahre 1972 produziert. Sie wurde bei Brain Records im gleichen Jahr veröffentlicht. Wie kam es dazu, dass Grobschnitt ins Studio gehen und ein Album aufnehmen konnte? Wir sprechen immerhin über die 70er in Deutschland, wo das noch keine Selbstverständlichkeit war...
Dass die LP 1972 produziert wurde, stimmt nicht. Sie wurde im März 1972 veröffentlicht. Produziert hatten wir sie bereits im Dezember 1971. Natürlich war diese Produktion und die LP-Veröffentlichung nicht selbstverständlich. Wir hatten ja schon vier Jahre als Beatband auf dem Kerbholz und überhaupt nicht vor, jemals eine Platte aufzunehmen. Das war nur was für die großen, englischen Bands. Die machten Platten, aber doch nicht wir aus Hagen! Der einzige, der damals in unserer Stadt seine eigene Scheibe hatte, war "Kai Hagen", ein singender Fleischermeister aus Hagen-Haspe! Der war einigermaßen bekannt, aber sonst gab's das nicht. Nun, ich habe ja von meinem Faible für Tonband und Tonbandaufzeichnungen berichtet und das war auch der Grund dafür, dass wir uns schließlich doch in Richtung "erste Schallplatte" bewegten. Ich war stets bestrebt, die akustischen Geschehnisse der Band optimal festzuhalten. Die beiden vorhin erwähnten Schaub Lorenz Röhren-Tonbandgeräte hielten bis Ende der 60er, also gute 10 Jahre, und 1970 kaufte ich mir von meinem Lehrgeld mein erstes ReVox Tonbandgerät vom Typ A77. Das war schon eine semi-professionelle Maschine. Damit nahm ich auf, was wir im Übungsraum und auf Konzerten so von uns gaben. Das klang erstaunlich gut und wir waren auch richtig gut, das sage ich unumwunden. Ich weiß nicht ganz genau, wie es passiert ist, aber irgendwie hatte Lupo als geschäftstüchtiger Manager Kontakte nach Hamburg geknüpft. Es gab damals noch die Metronome, eine dänische Plattenfirma, die nach Hamburg übergesiedelt war, um auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Die planten ein neues Label, das "Brain" heißen und sich ausschließlich mit deutschen Bands befassen sollte. Es gab damals ja auch schon Amon Düül. Die waren zwar nicht auf Brain, aber was die machten, war so außergewöhnlich, wie es vorher in Deutschland noch nicht bekannt war. Darum hatten die Leute von Metronome die Idee: "Wir fördern jetzt auch mal deutsche Bands!" Lupo knüpfte den Kontakt und weil ich viele Sachen von uns aufgenommen hatte, war es relativ einfach, dort hin zu fahren und der Firma alles vorzuspielen. Es war eine abenteuerliche und lange Geschichte, die man im Booklet der CD "Die Grobschnitt Story 0" ausführlich nachlesen kann. Um es kurz machen: wir saßen irgendwann bei Bruno Wendel, dem damaligen Boss der Metronome, im Büro. Er spendierte uns ein großes Blech mit Kuchen und wir spielten ihm unsere Aufnahmen vor. Das war wie im Film (lacht). Alle waren begeistert, denn die Sachen waren auf der einen Seite klanglich sehr gut und auf der anderen Seite völlig originell. Die "Kapelle Elias Grobschnitt" spielte, wie man auf der ersten LP ja auch hören kann, eben nicht dieses Allerweltzeugs. Am Ende hieß es, "das ist sehr interessant was Ihr macht! Nehmt doch mal ein Konzept für 2 x 25 Minuten in Eurem Proberaum auf und spielt uns das dann noch mal vor." So wuchsen wir im Laufe des Jahres 1971 da rein und arbeiteten ein Konzept für eine LP aus. Diese Probeaufnahmen erschienen übrigens im Frühjahr 2011 auf der erwähnten CD "Die Grobschnitt Story 0". Da hört man, was vor der ersten LP schon an Material von uns existierte. Es sind im Prinzip die gleichen Stücke wie auf der ersten Platte, nur eben lebendiger, live gespielt. Mit diesen Probeaufnahmen fuhren wir dann wieder zur Plattenfirma, spielten denen das vor und die meinten dann: "Ok, daraus machen wir was! Erstens: Ihr müsst in ein richtiges Studio gehen. Zweitens: Ihr braucht einen Produzenten!" Was der sollte, wusste damals keiner von uns, aber er war wohl notwendig. Also suchte man einen und fand ihn in dem Gitarristen der Rattles, Frank Mille. Der hatte Studioerfahrung und sollte uns bei den Aufnahmen begleiten. Zeitgleich stellte die Metronome für "Brain" die Weichen, in dem sie Conny Plank engagierte. Das war ein junger "Tonkutscher", der zuvor in Kaiserslautern bei einem gewissen Fred Kersten eine Lehre gemacht hatte. Kersten war ein Schlagertonstudio-Produzent, bei dem ich 1970 auch mal als Studiomusiker gearbeitet hatte. Conny Plank war ab dann der Stamm-Engineer für Brain und hatte die Aufgabe, alle Bands, die auf diesem Label erscheinen sollten, aufzunehmen. Das waren z.B. "Guru Guru", "NEU!", "Karthago", "Grobschnitt" und andere. Conny Plank fing dann im Dezember '71 mit uns an, im Windrose-Studio in Hamburg unser Konzept professionell aufzunehmen. Somit waren wir eine der ersten Bands auf dem Brain Label. "BRAIN 1008" war die Nummer der ersten Grobschnitt Langspielplatte. Viele gab es davor also noch nicht.
Die Musik von Grobschnitt kennt man ja... Wie würdest Du aus heutiger Sicht die Musik beschreiben, die die Band in der Anfangszeit gemacht hat?
Zweigeteilt! Für die "Kennt man ja"-Abteilung auf Schallplatte war das alles sehr konstruiert und gestrafft. Auf der Bühne selbst war das ausufernd und improvisatorisch. D.h., die "Symphonie", die man auf der Langspielplatte findet und die da auch kein kurzes Stück ist, war live mit Schlagzeugsolo und Gitarrensoli dreimal so lang. Wir spielten damals jedes Stück so ein bisschen in "Solarmusic"-Manier, also wesentlich länger. So lange wie es Spaß machte auf der Bühne. Für die Schallplatte wurde das dann doch sehr zusammengekürzt, zusammengestrichen und durcharrangiert. Trotzdem wurde versucht, die Vielfalt beizubehalten. Wir haben ein bisschen orchestral gespielt. Was sich ebenfalls sehr bemerkbar machte, waren Swing-Einflüsse. Jazz will ich nicht sagen, aber doch irgendwo in der Art. Da gibt es gute Beispiele. Der Underground mit seinen Klangeffekten, Texten und Ausflügen ist mit drin, und eben auch schon ein bisschen "Solarmusic"-Improvisationen, z.B. kommt das beim Song "Sun Trip" durch. Es war sehr vielseitig, weil jeder aus der Band seine Vorstellungen verwirklichen wollte und auch konnte. Jedenfalls war die Musik in unserer Anfangszeit geprägt von einer gewissen Aufbruchsstimmung und Experimentierfreude und auch durch die zwei Schlagzeuger hatte sie eine besondere Charakteristik. Ich mochte sie sehr und finde sie nach wie vor herausragend. Manche Fans bezeichneten uns damals spaßeshalber sogar als die "Westfälischen Santana". Das war nicht verkehrt.
Bekannt war Grobschnitt - Du hast es gerade ja schon gesagt - auch wegen ihrer bei Live-Konzerten oft ausufernden Improvisationen. Wie kann man sich das vorstellen? Seid Ihr auf die Bühne gegangen und habt nach Lust und Laune einfach experimentiert, oder gab es für die Improvisationen schon "Vorgaben" bzw. einen roten Faden?
Es gab immer einen roten Faden! Es gab einen Einsatz, es gab ein Intro, es gab immer ein Thema, über das improvisiert werden konnte und es gab auch festgesetzte Teile, die sich nach einer gewissen Zeit der Improvisation auch wieder finden mussten, um in andere Teile überzuleiten, die dann wieder freier gestaltet werden konnten. Es gab also schon Vorgaben und Rahmen innerhalb derer improvisiert wurde. Es war nicht so, dass wir auf die Bühne gingen und Free-Jazz machten. Wir hatten feste Stücke, die aber in sich ihre Teile hatten, in denen wir loslegen und je nach Stimmung die Sau rauslassen konnten.
Hier gab es intern zwischen mir und meinen Kollegen eine Diskussion: Stimmt es, dass Du der Erfinder des Einsatzes von Pyrotechnik bei Live-Konzerten bist? Ich habe gelesen, dass Dir das zugeschrieben wird, meine Kollegen wollen das aber nicht glauben...
Ja, das kommt in etwa hin! Du hast es gerade schon selbst gesagt: ich bin gelernter Chemie-Laborant. Was macht man denn als Youngster mit schulterlangen Haaren in einem Chemie-Labor, die ich mir dort wegen der Brandgefahr entweder abschneiden oder aber zu einem Zopf zusammen binden musste, wenn der Chef mal nicht da ist? Man probiert alles aus, was brennt, stinkt, qualmt oder irgendwie zusammen funktioniert (lacht). Und es gibt die bekannten Geschichten, wo ich mit experimentellen Pülverchen und Mixturen dann auf der Bühne versucht habe, künstlichen Nebel zu erzeugen und auch schon mal den Saal komplett ausgeräuchert habe. Ich habe irgendwelche Bomben gebaut, Blitze mit Magnesium und was alles denkbar war... Ich brachte bereits bei der Crew Mitte/Ende der 60er solche Dinge auf die Bühne. Irgendwann schleppte ich auch noch den Dia-Projektor meiner Eltern mit zu dem Konzerten, hatte bunte Dias mit fantastischen Mustern vorgefertigt, die wurden dann durch die vernebelte Luft an die Wände geworfen - ähnlich wie bei "Nektar", die in den 70ern auf ihren vollgerauchten Konzerten mit Dia-Projektoren psychedelische Bilder zu ihrer Musik erzeugten. Da gab es schon andere Bands, die ähnliche Dinge machten, z.B. die Electric Prunes aus den U.S.A. Wir waren nicht die einzigen, hatten aber in Deutschland sicherlich eine Vorreiterrolle. Hinzu kam auch, dass einer der Roadies der Crew bei der Bundesbahn arbeitete und Zugang zu deren technischem Fundus hatte. Der brachte dann schon mal solche roten Signalbirnen und irgendwelche Gasentladungslampen mit. Das haben wir alles in unseren Shows eingesetzt. Es machte halt Spaß, und wir hoben uns dadurch von den üblichen Bands ab, die auf nur die Bühne kamen, "Guten Abend" sagten und ihr Repertoire runter spielten.
Wie ist die Musik der Gruppe überhaupt entstanden? Wer war für Kompositionen und Texte zuständig? Wie kann man sich das vorstellen? Habt Ihr da im Proberaum herumgetüftelt, oder wie lief das ab?
Ja, das kann man so sagen. Die Musik entstand durchweg im Übungsraum im Kollektiv, und ich muss zugeben, meist aus Improvisationen heraus. Das war immer die stärkste Quelle. Wir kamen zur Probe, fanden uns zusammen, einer fing an, irgendwas zu spielen, irgendein Thema, einen Rhythmus oder so etwas und die anderen stiegen dazu ein. Wir spielten stundenlang vor und für uns hin und daraus entstanden wirklich sehr spannende Teile und gute Ideen, die dann hinterher weiter verarbeitet wurden. Punkt 1: Ich nahm alles auf und wir hörten uns hinterher genau an, was wir gemacht hatten. Punkt 2: Viele Freunde und Bekannte, die bei den Proben zugegen waren, sagten nicht nur einmal: "Ihr seid ja hier im Übungsraum noch viel besser als auf der Bühne." Das war tatsächlich so. D.h., im Grunde genommen entstanden die meisten Kompositionen aus spontanen Einfällen, die hinterher analysiert wurden. Es gab aber auch durchaus komplette Themen oder Melodien, die von den Gitarristen oder dem Keyboarder kamen und anschließend gemeinsam ausgearbeitet wurden. Das war z.B. bei Rockpommel's Land oft der Fall. Dann gab's natürlich das Problem: "Was singt man dazu?" Wildschwein sang bei den Improvisationen stets Melodielinien mit "Lala" oder spontan improvisierten, mehr oder weniger sinnvollen Texten. Ich hatte hinterher die Aufgabe, auf diese Linien, so sie denn brauchbar waren, komplette Texte zu schreiben, die a) englisch sein, b) darauf passen und c) singbar sein sollten und die d) auch noch einen vernünftigen Sinn ergeben sollten. Da wurde quasi das Pferd von hinten aufgezäumt: erst war die Musik da, dann wurde der Text darauf gestrickt. Genügend Beispiele dafür gibt es ja. "Rockpommel's Land" ist komplett so entstanden. Wildschwein hat seine Phrasen dazu gesungen und ich habe versucht, die Geschichte vom kleinen Ernie da rein zu pressen (lacht). Offensichtlich ist das ja auch gelungen. Einen Ausschnitt aus dieser Arbeit hört man übrigens auf meiner Grobschnitt-Story CD-Serie in Teil 6. Ab Mitte der 70er hat dann Volker "Mist" Kahrs hin und wieder Texte beigesteuert. Noch später, Ende der 70er, schrieb auch der Bassist "Milla" Kapolke einige Texte. Ich hatte irgendwann kaum mehr die Zeit, das alles alleine zu erledigen, denn ich musste mich seit "Solar Music Live" zusätzlich der kompletten Aufnahme und Produktion unserer Alben im Studio widmen. Deswegen sagte ich: "Kommt Leute, entlastet mich etwas schreibt auch mal ein paar Texte."
Du selbst hast Mitte der 70er auch als Solist gearbeitet. Im Jahre '75 erschien Dein Debüt-Album. War Dir das Arbeiten mit der Band zu wenig oder das Korsett bei Grobschnitt zu eng?
Das eine bedingte das andere. Da ich Tonbandgeräte hatte, konnte ich den ganzen Kram aufnehmen. Ich konnte aber mit diesen Tonbandgeräten auch während der Show zur Musik beitragen. Zunächst mal konnte man ein Tonbandgerät wie das ReVox A77 prima als Echo-Gerät benutzen und damit während der Musik Effekte machen. Ich habe bei unseren Improvisationen nicht nur getrommelt. Hinter mir stand ein speziell konstruiertes Mischpult mit integrierten Effektgeräten, Hallgeräten u.s.w., mit dem ich während der Show auch Klänge und Töne erzeugen konnte. Da spielte auch das A77 eine Rolle. Aus diesem Grund kam irgendwann wohl auch der Begriff "Brian Eno der deutschen Rock-Szene" auf, weil Eno auch mit Tonbandgeräten auf der Bühne gearbeitet hat. Ich habe zudem auch fertige Sachen vom Tonband in unsere Show eingespielt. Das brachte natürlich mit sich, dass ich zu Hause in meinem kleinen "Heimstudio" die Dinge vorfertigte, die dann z.B. bei "Solarmusic" oder unseren Theatersketchen einfließen konnten. Zum Einspielen startete ich auf Punkt die Bandmaschine mit einem dicken Fußschalter, der beim Schlagzeug stand. Für diese Zwecke entstand auch eine Menge - ich will jetzt nicht sagen - "Abfall", der auf der Bühne nicht einzusetzen war. Du machst irgendwas und sagst Dir: "Ich will jetzt 10 Minuten in D-Moll Klänge haben, die wir gebrauchen können", plötzlich erfindest Du dabei aber ein Stück in E-Moll, was viel schöner klingt und dann bastelst Du erst mal weiter daran herum. Du weißt zwar, dass Du es nicht für die Show gebrauchen wirst, aber es macht einfach Spaß, daran weiter zu werkeln. Da sammelte sich im Laufe der Zeit ein ganzes Archiv an Klängen und Kompositionen an. Das waren viele Dinge, die alle ganz nett waren und die spielte ich öfters meinen Freunden vor. Die kamen zu Besuch, man rauchte ordentlich einen durch, dann bekam jeder einen Kopfhörer auf die Ohren und durfte sich das Gedudel anhören. Irgendwann Mitte der 70er kam ein gewisser Günther Körber zu Besuch. Der war damals A&R der Metronome, also der zuständige Mann für uns und suchte uns anlässlich unserer 3. LP in Hagen auf. Wir rauchten eine zusammen und ich spielte ihm ein paar meiner Playback-Sachen vor. Die fand er völlig abgedreht und meinte: "Das musst Du unbedingt auf Platte rausbringen!" Er hat mich regelrecht dazu forciert, das zu veröffentlichen. Ich habe also ein paar Sachen zusammengesucht, die ich fertig hatte und das wurde dann die erste Eroc-LP, die 1975 bei Brain erschien. Die passte dieser Firma gut ins Konzept und damit fing meine "Karriere" an. Ich habe dann weiterhin Sachen, die ich für die Grobschnitt-Shows gemacht hatte und die dort keine Verwendung fanden, auf Platte veröffentlicht. Das ging z.B. auf "Eroc 3" mit der "Wolkenreise" weiter. Die "Wolkenreise" war ein Stück, das ich auch zunächst für unsere Show fertig gemacht hatte und dort laufen ließ. Die Leute von der Plattenfirma saßen eines Tages bei einem Konzert von uns in Hamburg im Saal und meinten: "Hör mal, dieses Stück mit dem Akkordeon ist ja völlig genial!" Sie waren der Meinung, dass das Stück erfolgreich werden könnte. Man hat mich immer wieder dazu gedrängt, das zu veröffentlichen und ich habe es dann auch gemacht, nachdem ich merkte, dass meine Stücke beim Publikum ankamen.
Obwohl der Titel keine Nr. 1 in den Single-Charts war - im Gegenteil, er kam "nur" bis auf Platz 32 - hielt er sich immerhin 21 Wochen in den Top 100 und ist ziemlich bekannt. Wie erklärst Du Dir das "magere" Abschneiden in den Single-Charts und den gleichzeitig hohen Bekanntheitsgrad der Nummer - übrigens bis heute?
Ein mageres Abschneiden in den Single-Charts ist ja nicht unbedingt ein Kriterium für die Qualität eines Musikstücks.
Da hast Du natürlich Recht...
Es gibt den Spruch: "Scheiße schwimmt oben". Und wenn ich mir manchmal die Charts angucke, kommt das ja hervorragend hin. Ich will jetzt nicht sagen: "Pink Floyd war ja auch nie oben in den Single-Charts", aber es gab und gibt immer sehr schöne Stücke, die einen beständigen Wert haben, weil sie eine bestimmte Atmosphäre vermitteln und trotzdem nicht in diesem schnelllebigen Hitkarussell mit rasen. Das hätte in meinem Fall auch gar nicht gepasst. Stell Dir vor, die "Wolkenreise" wäre Nr. 1 gewesen. Dann hätte nicht nur James Last sie abgekupfert, sondern hinterher hätten viele zum Akkordeon gegriffen und die Zitrone restlos ausgequetscht. Deswegen war es mir auch ganz lieb, dass das ein Underground-Hit geblieben ist. Das Stück hat bis heute Beständigkeit, weil es einen gewissen Zauber hat und sehr ungewöhnlich klingt. Es ist auch nie wieder etwas Ähnliches danach gemacht worden, außer von Herrn Last. Ich erkläre mir das so, weil dieser Titel auch gar nicht wie ein "normaler" Hit - um es mal auf Neudeutsch zu sagen - gefeatured werden konnte, da ich nicht wie der Roy Black der Nation mit dem Akkordeon auf die Bühne ging und den Omas einen vorspielte. Ich war mit Grobschnitt unterwegs und konnte das Lied gar nicht live auf den Bühne der Nation präsentieren. Deswegen wurde die Wolkenreise nie so vermarktet, wie das für einen Nr. 1-Hit notwendig ist. Damals hieß es bei vielen Rundfunkstationen z.B.: "Und nun kommt die Gruppe Eroc mit dem Titel 'Wolkenreise'." (lacht) Die Gruppe "Eroc" gab es ja gar nicht, aber egal. Das Stück gab es, man kam irgendwo nicht daran vorbei, aber der einfache Schlagerfreund konnte und wollte auch wohl nie so richtig begreifen, wer und was eigentlich dahinter steckt. Vielleicht ist gerade dieser gewisse Mystizismus ein Grund, warum das Lied immer wieder hervorgekramt wird.
Wie ist der Titel überhaupt entstanden, welche Idee steckt dahinter? Er ist ja sehr maritim angelegt...
Maritim? Ich würde eher sagen, französisch...