[REVIEW] YES - Fly From Here (2011)

veröffentlicht: 22.06.2011

Benoit David ; Geoff Downes ; Steve Howe ; Chris Squire ; Alan White
Antworten
Benutzeravatar

Topic author
JJG
Ehren-Admin
Beiträge: 9748
Registriert: Fr 27. Okt 2006, 16:20
Wohnort: Bad Lobenstein
Has thanked: 1468 times
Been thanked: 1096 times

[REVIEW] YES - Fly From Here (2011)

Beitrag von JJG »

FFH – Five Flying Heroes – Overtüre

Auf dem Flugplatz sieht man ein altes Fluggerät, das inzwischen schon über vierzig Jahre im Dienst ist. Fünf Enthusiasten
machen sich an die Arbeit um in neun Monaten ein altes Propellerflugzeug wieder auf die Startbahn zu schicken.
Eifrig wurde gewerkelt, Teile getauscht, aufpoliert und es gab einen neuen Anstrich. Die Piloten Howe und Squire werden
vom Navigator White unterstützt, Chefsteward David ist am Bordmikrophon und Downes stellt die Fahrwerke ein.
Horn betätigt sich als Lotse und Bordingenieur.


FFH – Flight From Heartland

Mit einem Schritt überwand Tom gleich drei Stufen, die Dielen knarrten bis er den Dachboden erreichte.
Durch das kleine Fenster fielen die letzten Sonnenstrahlen unter die Dachschrägen, die Sparren zogen
lange Schatten. An der Spitze konnte er noch das alte kleine Nest der Rauchschwalben erkennen.
Die Ecken durchsuchte er nach seiner alten Mandoline, die er hinter dem großen alten Kasten fand.
Unter den zupfenden Fingern entlockte Tom ihr ein paar helle Töne und war mit einem Mal der Hektik entflogen.
Der alte Kasten entpuppte sich als das Röhrengerät, in das er vor etlichen Jahren seine Kinderaugen richtete.
Jetzt schaute er durch den kleinen Lug im Dachboden auf die Wipfel der Bäume in Richtung Süden.
Wie gerne wäre er damals der Schwalbe gefolgt und hätte mit ihr all die Baumkronen, Täler, Flüsse und
Grenzen überquert, wie gerne wäre er mit ihr geflogen.

Im Herbst saßen die Generationen der zwitschernden Frackträger in langen Reihen auf den Leitungen,
die die Häuser verbanden und schmetterten ihre Ouvertüre. Der alte Kasten entführte ihn in die Zeiten,
als das Fenster zur großen weiten Welt nur zwei Farben hatte. Tom starrte auf die Mattscheibe und vor
seinem inneren Auge lief ein Film ab.

Bild

Er fand sich selbst in der Kulisse und Kleidung eines alten und berühmten Filmes einer afrikanischen Stadt wieder.
Vom Fenster des Airports aus konnte er die Familie beobachten, die am Zaun in Richtung Flugbahn schaute.
Der kleine Junge mit den großen Augen zog am Arm seiner großen Schwester und zeigte auf das abfliegende Flugzeug.
„Können wir auch fliegen?“ „Ja wir werden auch fliegen“. Dann schob dieser seine Mütze in den Nacken, kniff ein Auge
zusammen und ließ keinen Blick vom Flugzeug, bis es in den Wolken verschwand.
Niemand kam oder ging, nur manchmal ertönte ein Motorengeräusch. Er rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee und ihm wurde kalt.
Und er ertappte sich bei Gedanken, die er tausendfach wiederholte, als er auf den flimmernden Bildschirm starrte.

Durch das Fenster sah er die Sturmwolken aufziehen und das Schwalbenpaar suchte Unterschlupf im alten Nest.
Das Leben kann eine holprige Fahrt sein, aber in unseren Gedanken können wir an alle Orte dieser Welt fliegen.

Dann sah er den alten Mann, der seine Tasche öffnete und alte Bilder anschaute und traurig das Liebespaar betrachtete,
das sich am Tisch gegenüber küsste. Hatte er im Leben alles richtig gemacht? Was sind die Dinge, die ein erfülltes Leben geben?
War es Erfolg? War es Ruhm? Was ist der Sinn des Lebens? Dann erkannte er, dass er auch ein Stück so sein sollte, wie andere
ihn gerne haben wollten und er sich so auch in ihnen wiederfand.

Durchs Fenster erkannte er eine lächelnde Frau und er wusste, es war noch nicht zu spät …
Manchmal ist das Leben wie der Film, der gerade vor den eigenen Augen abläuft. Die Bilder laufen in schwarzweiß in
Sekundenbruchteilen vorbei und erscheinen uns wie eine fremde Geschichte. Das Dunkel der Nacht entschwand und die Lichter
der Landebahn verglimmten im Morgenrot, das über dem Meer aufkam. Im Hinterhof erkannte er eine alte Frau, die die Abfalltonnen
durchsuchte. Er verspürte Hunger und ging an die frische Luft. Die Frau ging mit gesenktem Kopf wortlos an ihm vorüber
und tauchte in den Nebel einer kleinen Gasse ein. Als das Morgenlicht die dünnen Schwaden auflöste, konnte er ihre schwarzen
Haare erkennen, die ein wenig unter ihrem Tuch hervorschauten.Der Milchmann lief durch die Straße und stellte ein paar Flaschen
vor dem Flughafen-Cafe ab. Die Tür öffnete sich und der betagte Besitzer schob ein Standschild auf den Gehweg. Der Duft von
frischem Kaffee und Gebäck mischte sich in die salzige Meeresluft. Wortlos griff er die alte Frau unter ihren Oberarm und führte
sie an einen Tisch im Restaurant und bestellte ein großes Frühstück für beide. Als er ihr gegenüber saß, musste er erkennen,
dass sie viel jünger war, als es den Anschein hatte.
In den kleinen weißen Wolken konnte er schon ein anfliegendes Propellerflugzeug erkennen. Also bezahlte er und ließ das
Wechselgeld für die Frau liegen. Während er sich verabschiedete, musste er an die vielen Münder denken, die auf dieser Welt zu
füllen sind.
In der Flughafenhalle spielte ein junger französischer Soldat Solitaire, er kannte das Gefühl und das Spiel nur zu gut.
Zwei Stunden später blickte er durch das Fenster der kleinen Maschine, die sich mit tosendem Geräusch vom Boden abhob und
von Afrika gen Norden flog. Über dem Festland im Osten zog sich ein mächtiges helles Gewitter zusammen. Es erschien ihm wie
tausend gebadete Engel, die die Morgendämmerung durchbrachen.

Bild

Ein Blitzschlag weckte Tom und ließ das Licht im alten Fernseher erlöschen. Mit einem Schlag wurden alle Häuser dunkel und der
Regen prasselte auf die Straße. Da musste er sich daran erinnern, wie seine Eltern bei Gewitter alle Kinder weckten und die Familie
mit Gummistiefeln an den Füßen das Ende der Blitze abwartete.
Tom hielt den Arm aus dem Fenster und spürte den warmen Regen auf seiner Handfläche, das Gefühl unendlicher Vertrautheit.


FFH – Far From Home?

Bild

Ein neues Yes-Album, nach so vielen Jahren endlich ein komplettes Album mit neuen Songs. Nach der Erkrankung von Jon Anderson
und Rick Wakeman fand sich ein neues Lineup zusammen, das aus Chris Squire, Steve Howe, Alan White und Benoit David besteht
und neuerdings wieder Geoff Downes ins Boot geholt hat.
Wenn man die Aussagen von Chris und Steve aufmerksam verfolgt, dann hat man beim Songwriting eine Hommage an die 60er und
70er Jahre gemacht, aber versucht nicht den Klang zu kopieren, sondern vielmehr eine neue Ausrichtung verfolgt. Insofern ist klar
warum das Album so ist wie es ist.
Im Vorfeld hat die Band vieles richtig gemacht. Man hat sich Zeit gelassen. O-Ton Steve Howe: „Das Material muss stimmen“ und
es ist auch stimmig. Es gab eine sorgfältige Songauswahl unabhängig davon, ob es sich hier nun um alte, ältere oder neue Stücke
handelt. Man hat auch die früheren Egomanien hinter sich gelassen, unbedingt die eigenen Kompositionen durchzusetzen, was natürlich
gleich wieder die Kritiker „Das Album hat ja überwiegend Horn-Kompositionen“ aktiviert hat. Beim näheren Hinsehen wird aber schnell klar,
dass man einfach nur das Recht der „Urkompositionen“ respektiert hat. Man hat keinen Zeitdruck wegen einer Tour, man hat gut promotet,
eine Single veröffentlicht, man hat Spannung aufgebaut und einen guten Produzenten gewählt.
Wer die Arbeitsweise früherer Yes-Alben kennt, der weiß, dass gerade Jon Anderson im Studio häufig erst die mitgebrachten Stücke/Demos
der anderen Bandmitglieder abgefragt und dann aus vielen Teilen Longtracks zusammengestellt hat. Insofern unterscheidet sich die
Arbeitsweise zum Titelstück „Fly From Here“ nicht wesentlich.

Chris Squire hat sich in der Studioarbeit zu „Fly From Here“ sogar auf eine gewisse Art an „Close To The Edge“ und „90125“ erinnert gefühlt.
Das Titelstück ist zwar in Teilstücke gegliedert, im Gegensatz zu den früheren Epen von Yes aber eher eine Suite. Die Stücke können also
auch losgelöst gesehen oder gespielt werden. Die „Overtüre“ ist recht kurz gehalten und gibt nicht das ganze Spektrum der nachfolgenden
Teilstücke wieder, baut aber nach dem kurzen Piano-Intro Spannung auf, die auf die nachfolgenden Stücke hoffen lässt. Fließend geht es
in „We Can Fly“ über, welches am Anfang wieder durch Geoffs Tastenarbeiten eingeleitet wird. Auch wenn der Song sich für eine radiotaugliche
Singleauskopplung geeignet hat, gibt es trotzdem Wendungen und kraftvolle Instrumentalpassagen. Mr. Davids Stimme verleiht dem Song
Gänsehaut-Feeling, dabei wird er reichlich von Mr. Squire unterstützt. Die Vokal-Passagen sind vorzüglich und die verschiedenen Stimmen
genau aufeinander abgestimmt. Während die Single-Version fürs Airplay abgespeckt wurde, setzt die Full-Version im Epilog einen ersten Höhepunkt,
die Spielfreude der gesamten Band wirkt wohltuend auf den Song. Benoits Stimme ist der Trevor Horns ohnehin sehr ähnlich, deshalb dürfte
dieses Stück dem neuen Sänger nicht schwergefallen sein. Chris hat dem Song seinen typischen Bassstempel aufgedrückt und Steve spielt
fetzige Gibson-Solos, ein paar Gimmicks kann man hören, wenn man den Song aufmerksam verfolgt. Ein reiner Popsong? – den Kommentar
kann man sich sparen.
Sanft ist der Übergang zu „Sad Night At The Airfield“. Steve spielt als Einleitung ein Thema auf der mit Stahlsaiten bestückten akustischen
Martin-Gitarre. Darüber legt er eine feine Melodie mit der Nylon-Guitar. Geoff setzt seine Keyboard-Akzente auf die hohen Noten, ein Intro voll
nach meinem Geschmack. Dann wird das Stück durch die komplette Band, sparsam instrumentiert, fortgesetzt und thematisiert dann wieder das
Eingangsthema und baut sich so bis zum Ende hin auf.
Wiederum eine kurze Piano-Einleitung, der volle Band-Einsatz bis treibender Bass, E-Gitarren, Mandolinen, Perkussionseinsätze zur schwebenden
Bridge mit Benoit’s Stimme in den höchsten Tönenkann man in „Madman at the Screens“ hören. Gänsehaut wenn Benoit sich zum „Sailor beware …“
aufschwingt. Auch im dritten Teil gibt es immer wieder Zitate aus den anderen Stücken. Geoff spielt sogar ein kleines Orgel-Solo, welches aber
in den Hintergrund gemischt ist. Live kann man da etwas anderes erwarten.
Der Übergang zum wirklich holprigen „Bumpy Ride“ hat mich anfangs etwas befremdet, inzwischen finde ich es eine ganz lustige Einlage, bei der
ich mir die Gesichter von Steve und Chris vorstelle. Natürlich wird die traute Gemeinsamkeit wieder durch einen sphärischen Part unterbrochen.
Das Finale (die Reprise) ist schon ein wenig Bombast-Yes im Stile der 70er Jahre, leider halt etwas kurz, aber ein würdiges Ende für den längsten
Yes-Song (Studio) bis heute. Auch da gibt es viele Feinheiten zu entdecken, die sich wie bei früheren Longtracks erst nach mehrmaligen
Durchläufen offenbaren.
Das gesamte Album ist fast ein Konzept-Album geworden, denn auch die nachfolgenden Stücke bilden eine gewisse Einheit und stehen
dem Magnum-Opus der Scheibe sehr nahe. Eine Tradition wird fortgeführt, denn Chris singt wieder einmal die erste Stimme. „The Man
You Always Wanted Me To Be“ zeigt eine neue Facette des großen Mann am Bass, die sich nahtlos in die großen Kompositionen aus dem Hause
Squire (Onward, Parallels) einreiht. Das Chris auch ein guter Solo-Sänger ist, hat er nicht erst seit „Man On The Moon“ oder „Can You Imagine“
bewiesen. „The Man …“ ist sehr einfach gehalten und orientiert sich am Text, der sehr nachdenklich ist und ganz große Parallelen zu
neuerlichen Songtexten von Jon Anderson beweist. Ob das etwas zu bedeuten hat? Der Song ist eine kleine Hommage an seine Zeit bei The Syn
und knüpft nicht nur an deren Stücke aus den 70ern an.
Dann folgt „Life On A Film Set“, ein echter Prog-Song mit Wendungen und einem dunklen Intro im Gesangsstil eines Greg Lake und den Klängen
der dazugehörigen Akustikgitarre. Benoit beweist hier ebenso Wandlungsfähigkeit wie sein Mitstreiter an der Gitarre. Interessant ist die Mischung
aus schweren Gitarrenakkorden und Synthie-Klängen der 80er allemal, aber sie wären nicht Yes, wenn das Ganze in hellen Tönen aufgelöst wird.
Auch hier überraschen mich die gewählten Gitarren-Akkorde und Fanfarenimitationen …
„Hour Of Need“ (die volle Version) ist nach dem Muster ABA aufgebaut. Die beiden A-Teile sind im Stile von Machine Messiah gehalten, wobei
Ersterer recht kurz gehalten ist und in das B-Thema mündet, dass von Steves portugiesischer Gitarre geprägt ist. Hier schwingen ein wenig
„Your Move“, „Wonderous Stories“ oder auch „Nine Voices“ mit und Benoits Stimme erinnert sehr an die von Jon. Der Song entfaltet sich erst
in der Full-Version, die auf der japanischen Pressung am Ende der CD zu hören ist. Oliver Wakemanns Orgel lässt den Song im zweiten A-Teil
mahnend wirken und die beste Rhythmus-Sektion der Welt (O-Ton Trevor Horn) gibt dem Song den nötigen Drive.
„Solitaire“ ist das obligatorische akustische Stück, welches Steve aus den Saiten zaubert und sich wohltuend in das Gesamtkonzept des Albums
einfügt und zwischen nachdenklich und optimistisch pendelt und den Ruhepunkt vor dem Sturm bildet. Steves Stärke der letzten Jahre ist, die
Töne ganz sauber zu spielen und den Klang nicht zu verwaschen, ein Lehrstück der Gitarrenkunst!
Der Rocker dann zum Schluss der regulären CD. „Into the Storm“ ist eine gute Mischung von „Yes-Album“ und „Ladder“ – Songs. Spielfreude,
Wendungen und schöner Mehrstimmen-Gesang prägen den Song. Chris schwingt sich von den stillen Flügeln der Freiheit in den Sturm. Wenn
Benoit „Armys of Angels …“ singt, dann zeigt er, dass er auch im Stile von Geddy Lee (Rush) oder Ted Leonard (Enchant) singen kann. Auch
wenn hier Oliver Wakeman (angeblich) nicht spielt, sei noch erwähnt, dass er maßgeblich an der Komposition mitgewirkt hat und das kann man hören.

Der eingefleischte Yes-Fan kann mit der tollen Box seinem Hobby frönen, denn es gibt (fast) alles was das Herz begehrt. Vinyl, CD oder auch T-Shirt.
Die vorzügliche optische Gestaltung lässt „Fly From Here“ zum Gesamtkunstwerk werden.


FFH – Full From Howe

Es ist schon erstaunlich wie das Album schon im Vorfeld analysiert wurde. Aus dem Lineup wurde abgelesen welche Richtung das Album
einschlagen würde, welche Mankos es haben würde und von den verzeichneten Komponisten wurde gleich auf die Ausrichtung der Songs geschlossen.
Dabei ist doch der Ausgangspunkt die Musik und nicht das Drumherum.

Bild

Steve Howe hat sich in Interviews kritisch über die Yes-Alben der letzten 15 Jahre geäußert. Gemeint wären dann ja „Keystudio“ (KTA1/2),
„Open Your Eyes“, „The Ladder“ und „Magnification“. Er sieht die von ihm gewünschte Ausrichtung der Band in Richtung “Fly From Here”.
Das ist für mich nachvollziehbar, denn das neue Album wird über weite Strecken durch ihn dominiert. Die interessanten Duelle früherer Alben zwischen
Gitarren und Keyboards fehlen dem Album (fast) völlig. Die Tastenklänge bilden eher den Teppich für seine interessanten Saitenklänge. Es gibt eine
bis dato nur selten Yes-Stücke, die konventionelle Gitarren-Akkorde verwenden. Bei diesem Album ist das besonders ausgeprägt.

Bild

Geoff Downes war nie der spektakuläre Showman und mit seinen Beiträgen wollte er auch nie seine Vorgänger bei Yes imitieren, weder klanglich noch
kompositorisch. Ein Moog-Solo werden die Fans von ihm auf dem Album nicht finden. Ausgeprägt sind seine pathetischen Läufe und Klanggewalten,
für die er bekannt ist. Darunter mischen sich ein wenig Popkultur, Soul, Hardrock und ein wenig Jazz, wenn auch akzentuiert.

Bild

Alan White spielt so, wie man es von ihm kennt. Nach wie vor ist er das lebende Uhrwerk, welches sich im Hintergrund hält und die Basis für die Song
darstellt. Manchmal bäumt er sich auch auf und zeigt was in seinen runden Kesseln und metallenen Scheiben steckt. Manchmal treibend, manchmal
gedankenversunken antippend bringt er seine Batterie in den richtigen Schwung. Dabei ist der Drum-Sound nie aufdringlich oder belanglos.

Bild

Benoit David ist wohl das Yes-Mitglied, auf welches die meisten Augen und Ohren gerichtet sein werden. Bei den Songs bringt er ganz unterschiedliche
Farben in den Gesang ein und schwimmt sich dadurch frei. Für die kommenden Konzerte kann er nun auch auf Songs zurückgreifen, die vor ihm kein
Jon Anderson oder auch Trevor Horn gesungen haben. Er macht seine Sache gut, singt sauber, wenn auch nicht mit großem Tonumfang, erinnert hier
und da auch an ganz große Sänger anderer Bands.

Bild

Chris Squire ist souverän in allen Bereichen. Sein Bassspiel hat sich wieder in Richtung der guten alten Zeiten entwickelt. Es/er gibt den Stücken den
richtigen Druck hebt sich wohltuend von manchen Gitarren- und Keyboard-Figuren ab. So mögen ihn die Fans. Seine stimmlichen Qualitäten beweist
er auf dem Album in allen Bereichen, sowohl als Leadsänger eines Stückes, als zweite Stimme und im Mehrstimmbereich aller Songs.


FFH – Future For Heroes? - Reprise

Ein Album, welches die Yes – Geschichte fortführt, die Geister scheiden lässt und lang erwartet war, ist „Fly From Here“ geworden und hat somit die
Erwartungen der Fans erfüllt. Ob es ein Statement von Jon Anderson, Rick Wakeman und den anderen Ex-Mitgliedern geben wird?
"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

Saaldorf
Benutzeravatar

Topographic
Keymember
Beiträge: 2943
Registriert: So 24. Feb 2008, 15:20
Has thanked: 61 times
Been thanked: 412 times

Re: Rezi FFH

Beitrag von Topographic »

Danke und Verbeugung JJG! Das Lesen dieser Rezi war pures Vergnügen. So viel Tiefgang, Eloquenz und Gefühl und natürlich ist auch der YESFan in dir spürbar. Toll! Ist übrigens die erste Rezi, die ich lese... ich will mich mal nicht zu sehr beeinflussen lassen.

Fragile
Alumni-Admin
Beiträge: 7661
Registriert: Sa 23. Sep 2006, 16:20
Been thanked: 1 time

Re: Rezi FFH

Beitrag von Fragile »

@JJG: Chapeau mit "o"! :mrgreen:
Vielleicht komme ich ja noch bis zum Ende dieser Woche dazu, mir das Album zu kaufen und zu hören, um deine schön beschriebenen (Hör)-Eindrücke auch nachvollziehen zu können. Aber das werde ich sicher noch hinkriegen, bevor PG sein "I/O" irgendwann in irgendeinem September veröffentlicht. ;)
He's seen too much of life,
and there's no going back...

BBQ.Master
Keymember
Beiträge: 1957
Registriert: So 24. Sep 2006, 13:41

Re: Rezi FFH

Beitrag von BBQ.Master »

Die Review ist sehr gut, Jan! :)
"It's better to burn out than to fade away ...because rust never sleeps." - Neil Young

Bild

number nine
Beiträge: 707
Registriert: Mi 29. Jun 2011, 22:27

Re: Rezi FFH

Beitrag von number nine »

Das ist eine wunderbare Rezension! Als ich das Album zum ersten mal hörte, hörte ich es nicht wirklich, was ich zu meiner Schande eingestehen muss. Ich betrachtete alles um das Album herum mit äußerst kritischen Augen, wie es noch nie bei einem Yes-Album zuvor der Fall gewesen ist. Ich stellte die ganze Band in Frage. Aber der Enthusiasmus der einzelnen Bandmitglieder, die sehr stolz waren, auf das, was sie geschaffen hatten und auch einige Meinungen von anderen Yesfans ließen mich meine Ansichten überdenken. So gelang es mir Mauern einzureißen, die mir eigentlich völlig fremd waren, weshalb ich wohl ein wenig Hilfe in Form von Meinungen anderer brauchte, um diese überhaupt zu erkennen.

Dann gefiel mir das Album schon etwas besser. Einige Kritikpunkte bleiben bis heute. Das darf aber so sein und spielt erstmal keine Rolle! Der soeben gepostete Liveschnipsel hat mir auch nicht sonderlich gefallen. Aber Deine Rezension hat mir etwas sehr wesentliches gegeben und mich sehr nachdenklich gemacht:

Trotz der Rückgriffe auf älteres Material wurde dieses Album mit Herzblut eingespielt, dies in einer nicht unkritischen Phase der Band zu fortgeschrittener Stunde. Wenn ich so darüber nachdenke wirkt es weniger gekünstelt als so manches Vorgängeralbum. Es wirkt authentischer (ich werde es gleich auflegen, mir juckt es in den Fingern). Die Rolle der Buggles stört mich nach wie vor ein ganz klein wenig. Ich gebe zu, dass es mir lieber gewesen wäre, man hätte dieses Album ohne deren "Konsultation" gemacht, wobei ich Downes als Keyboarder sehr schätze. Auch empffinde ich es nach wie vor als unendlich traurig, Jon Anderson nicht an Bord zu haben.

Aber Yes haben so viele, auch schwierige, Phasen der Veränderung durchgemacht und immer, ich betone immer (!), ist etwas dabei herausgekommen, was wunderbar war (auch wenn vielleicht nicht gleich ein ganzes Album). So wird es rückblickend auch dieses Mal der Fall sein. Vielleicht profitiert die Band in einer Weise von dem Album, die noch gar nicht fassbar ist. Vielleicht gesellt sich dieser Formation noch das eine oder andere ehemalige Bandmitglied hinzu und man kann ein wirklich großartiges, hoffentlich lang andauerndes, "Finale gestalten", um es mit den Worten des Kraan Bassisten Hellmut Hattler auszudrücken.

Changes come Changes go!

Jedoch abgesehen davon ... man sollte vielleicht nicht immer so tun (auch wenn Howe so aussieht ... :D ) als würden diese Musiker bald den Löffel abgeben. Es gibt ein gewisses Alter, ab dem geht es erst richtig los, aber ich vermeide an dieser Stelle ein entsprechendes Zitat eines hoch geachteten Musikers ...

Es kann noch viel passieren - und ich erwarte keineswegs eine zweite Relayer-Tour noch ein Revival einer 90125 Tour (obwohl die Vorstellung der Band heute in diesen Klamotten heutzutage mir durchaus ein Grinsen ins Gesicht bringt).
Hate takes a lot of energy - and i'm savin' mine up for all the good shit that's comin' my way 'cause i'm a good person and i deserve good shit in my life.

number nine
Beiträge: 707
Registriert: Mi 29. Jun 2011, 22:27

Re: Rezi FFH

Beitrag von number nine »

Ja, mein Gott, das neue Album rockt! Ich gebs ja zu!

Passt eigentlich alles. Ich bin bekehrt! Aber Jon hätte man mitsingen lassen können, dann wäre es perfekt! Ok, bei Hour of need hat er ja mitgesungen ;P

Steves Solonummer hätte man auch Andersomwhere nennen können ....
Hate takes a lot of energy - and i'm savin' mine up for all the good shit that's comin' my way 'cause i'm a good person and i deserve good shit in my life.
Benutzeravatar

Aprilfrost
Keymaster
Beiträge: 9265
Registriert: Mo 7. Apr 2008, 16:20
Has thanked: 164 times
Been thanked: 112 times

Re: Rezi FFH

Beitrag von Aprilfrost »

Da hat der JJG mal wieder was richtig Gutes vom Stapel gelassen. Auch ich ziehe meine Mütz.
Sehr schön auch die eingebundenen Schwarz-Weiß-Bilder.
Da kann ich mir dann einen eigenen Text sparen. :)
Benutzeravatar

Aprilfrost
Keymaster
Beiträge: 9265
Registriert: Mo 7. Apr 2008, 16:20
Has thanked: 164 times
Been thanked: 112 times

Re: Rezi FFH

Beitrag von Aprilfrost »

(Als hätten wir es nicht geahnt. Natürlich kann der Aprilfrost seine Finger nicht still halten und muss ein paar Zeilen zum Album los werden.)

Yes ist als Band in die Jahre gekommen. Nicht nur die Musiker, die ihren zeitlichen Zenit überschritten haben, sondern auch die Band hat mehrere Dekaden auf dem Zähler, und nur Fantasten könnten ernsthaft glauben, das mache keinen Unterschied zu ihrer Anfangszeit. Mit der Band hat sich auch die Musik entwickelt, also verändert. Der Progressive Rock hat bereits viele Abgesänge hinter sich. Viele fühlen sich berufen, auch heute noch in diesen Gesang einzustimmen. Das ist ungefähr so, als würde man einen Zeitungsartikel schreiben, der sich auf Jahre alte andere Artikel bezieht. Wenn der Prog also mausetot ist, hat sich die Frage erledigt, ob das Album „Fly From Here“ Prog ist. Falsche Frage also, aber wie lautet die richtige?
Vielleicht sind es mehrere: hätte Yes es bleiben lassen sollen? Ist Yes ohne Wakeman und Anderson noch Yes? Wird das Album einer so verdienten Band wie Yes gerecht? Aber auch das sind alles keine Fragen, auf die sich befriedigende Antworten finden ließen. Die einen antworten „ja“, andere „nein“, viele „weiß nicht“. Für mich lautet die Frage: was macht das Album für mich zu einem hörenswerten Album? Dieser Frage versuche ich nachzugehen. Dazu erst einmal meine subjektive Beschreibung, dann meine noch viel subjektivere Meinung.

Fly from here – Overture
Schlichte Tastenterzen mit viel Hall eröffnen das Album. Der Hall verschwindet, die Musik wird vielschichtiger und - wumms –Bass und Schlagzeug lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es rockig werden wird. Ein kurzes, sich wiederholendes Gitarrenriff hüpft auf dem rhythmischen Bass hinüber zu einem Pianothema und nun befinden wir uns schon mitten im Herzen des neuen Albums. Keine zwei Minuten später beginnt

Fly From Here – Part I: We Can Fly

mit einem leisen tiefen Brummen, wie von einem fernen Flugzeug, das sich in der Nacht verliert. Sehnsuchtsvoller Gesang löst die Akkorde des Keyboards ab, dahinter eine fast wehmütige Gitarre, der Bass spielt sich unmerklich in den Vordergrund, die Musik gewinnt an Fahrt. Der Refrain ist von einem satten Keyteppich unterlegt und kommt mit großer Leichtigkeit daher. Weil Howe sein erstes Solo spielen darf, hängt Chris sich dran und spielt, wie man es von ihm kennt – rhythmisch und melodisch zugleich. (Das kann man wahrscheinlich nur mit einem Bass.) Das Stück steigert sich an Klangfülle und Tempo. Die anfänglich ganzen und halben Töne zersplittern in Achtel und Sechzehntel. Leider wird der Titel fast komplett ausgeblendet, bis die Akustikgitarre

Fly From Here – Part II: Sad Night At The Airfield

einleitet. Der Titel ist wenig überraschend in Moll gehalten. Mehrstimmiger Gesang, flächige Keys, schlichte Drums, warme Bass-Töne und eine Steelguitar, die effektiv eingesetzt an langsame Stücke von Ritchie Blackmore erinnern. Wer diesem Track Emotionalität abspricht, bei dem endet das Hören in der Großhirnrinde und erreicht ihn nicht wirklich. Überraschend enden die Sad Nights in Dur. Über einen Tonartwechsel gelangen wir zu

Fly From Here – Part III: Madman At The Screens

Das kennen wir schon. Richtig, so beginnt auch die Ouvertüre. Verwechselungsgefahr ausgeschlossen, weil gleich der Gesang einsetzt. Und hier kommt endlich auch Alan White, der sonst mehr am Bass klebt als nötig, einmal aus sich heraus und setzt Akzente.

Fly From Here – Part IV: Bumpy Ride
Ein witziges Stück, und wenn man ehrlich ist, hätte es in den 70er Jahren kein Stück anders geklungen. Wer gibt hier eigentlich den Ton an? Und wer die Tonart? Als sollten hier auch mal die seltener gespielten Tasten (der Keyboards) und Bünde (der Saiteninstrumente) zu Einsatz kommen, wird die Tonart permanent geändert. Das kann man zwei Minuten lang mal machen, ohne dass es langweilig wird, dann ist aber auch gut.
Denken die Musiker sich auch, greifen noch schnell ein Thema aus Part III wieder auf, und leiten dann ganz nonchalant nach

Fly From Here – Part V: Reprise
über. Das klingt nach Happy End! Fanfaren verkünden schon musikalisch, was Benoit David schon in Part I vorweg genommen hatte: „We can fly from here“. Musikalisch drückt Howe das so aus: er beginnt sein Solo auf den tiefen Gitarrensaiten und schwingt sich dann zu den hohen Tönen auf. Ebenso klettert Squire die Tonleiter nach oben. Leider endet der Höhenflug schon nach gut eineinhalb Minuten. Ein Bordmikrofon überträgt während des Ausblendens ein paar unverständliche Worte, und damit ist die Suite beendet.

The Man You Always Wanted Me To Be

Klare Gitarrenakkorde, die so ganz anders klingen als das bisher Gehörte, bilden einen deutlichen Kontrast und holen den Hörer wieder auf den Boden zurück. Strophen und Refrain geben diesem Track Liedcharakter. Für meinen Geschmack etwas harmlos und poppig. Die letzten zwei Minuten passiert auch nicht mehr viel. Steve daddelt noch ein bisschen auf seiner Gitarre herum, die letzte Textphrase wird ein paar Mal abwechselnd zu einem leider banalen Ee yeah usw. wiederholt. Ich fühle mich ein bisschen ratlos zurück gelassen.

Life On A Film Set

Ein schleppender Rhythmus zieht uns durch den Film Set. Alles klingt ein bisschen unwirklich, was durch die Phrase „You’re riding a tiger“ noch unterstrichen wird. Dann bei 2:15 eine Wende. Die Rhythmusgitarre beginnt mit einem 5/8-6/8-Takt, der dann vom Schlagzeug kraftvoll verstärkt wird, was dann wirklich wie der Ritt auf einem Tiger klingt. Das Stück endet so abrupt, als würde man vom Tiger abgeworfen.

Hour Of Need
Nanu, singt da etwa Jon Anderson? Wohl doch nicht. Interessant klingt die um eine Oktave tiefer gelegte Zweitstimme, die dann wohl doch Chris Squire gehören muss. Aber eigentlich ist das ein Howe-Stück. Er bedient gleich mehrere Saiteninstrumente, und es klingt wirklich hübsch. Die Keyboards sind ganz zurück genommen. Man ahnt sie eher, als dass man sie hört.

Solitaire
„Also gut, Steve, Du kriegst Deinen Solotrack. Dann nenne ihn aber auch so.“ Ich verstehe nicht so viel von Musikstilen, aber es handelt sich um mehrere sich ablösende Stile. Ich meine Ragtime, spanische und deutsche Tänze heraus zu hören. Für einen Meister wie Howe sicher eine Kleinigkeit zu spielen.

Into The Storm
Nach den beiden verhaltenen Tracks nun der krönende Abschluss des Albums. Der mehrstimmige Gesang klingt, wie wir es von Yes kennen und lieben. Mit sieben Minuten ist es der zweitlängste Track. Hier wird noch mal richtig reingehauen und jegliche Zurückhaltung abgelegt. Zu hören ist u. a. ein wunderbares Solo von Steve, das im deutlichen Kontrast zu „Solitaire“ steht. Wem „Into the Storm“ so überhaupt nicht gefällt, muss sich fragen lassen: „Was willst Du denn noch?!

Zu den Musikern
Chris Squire: dem Mann macht das Spielen noch Spaß. Er kann es nicht nur, er will es auch. Ich finde keine Schwachstellen bei ihm.

Steve Howe: lebendiges Spiel, abwechslungsreich, aber nicht zu friggelig. Lahm finde ich ihn auch nicht. Er behauptet seinen Platz unter den führenden Rockgitarristen. (Dass andere auch gut, vielleicht in mancher Hinsicht sogar besser sind, schmälert seine Virtuosität nicht.)

Alan White:
zuerst war ich enttäuscht, weil ich seine Darbietung etwas einfallslos fand. Vielleicht ist ihm mit dem Jahren wirklich etwas die Puste ausgegangen (wie uns anderen alten Säcken ja auch). Soweit ich es beurteilen kann, haut er aber noch präzise auf die Pötte und Pfannen und spart nicht mit dem Instrumentarium. Er hätte sich aber doch mehr vom Bass lösen können und damit die Stücke etwas gegen den Strich gebürstet.

Geoff Downs: hat einen völlig anderen Stil als ein Wakeman, ist zurückhaltender und muss sich nicht durchgehend hören. Das finde ich ganz angenehm. Es gibt dem ganzen Album Geschlossenheit und Substanz.

Benoit David: weder Anderson noch Horn, aber trotzdem passend. Sicher hätte ich gerne Jon auf dem Album gehört, doch klingt Davids Stimme angenehm, uneitel und nicht bei jedem Stück gleich. Ich finde, er hat seine Sache gut gemacht.

Ich las vor kurzem, dass das Album bei mehrmaligem Hören wächst. Das kann ich bestätigen. Meine ersten Höreindrücke (der Single) waren noch sehr verhalten und auch der erste Durchlauf des kompletten Albums überzeugte mich noch nicht. Inzwischen habe ich „Fly From Here“ über zehnmal gehört und es inzwischen in mein musikalisches Herz geschlossen.
Benutzeravatar

MelloKey
Beiträge: 1282
Registriert: So 1. Mär 2009, 21:31

Re: Rezi FFH

Beitrag von MelloKey »

Das ist eine ganz tolle, sehr gelungene Rezi, JJG! Vielen Dank dafür und für deine Mühe! [smilie=clap.gif]

Danke auch für deine ausführliche Rezi, Frosti [smilie=thumbsup.gif]!

Ihr seid spitze, Leute :D!

hans
Beiträge: 882
Registriert: Di 16. Nov 2004, 21:31
Been thanked: 3 times

Re: Rezi FFH

Beitrag von hans »

Wir schreiben das Jahr 2011 und es erscheint ein neues Studio-Album von Yes, 10 Jahre nach Magnification. Was kann, was darf man sich davon erwarten? Zwei Mitglieder der Stammbesetzung fehlen, da sie schwere Erkrankungen hinter sich haben und dem Tournee-Betrieb nicht mehr folgen können. Der Sänger einer Yes-Coverband nimmt Andersons Posten ein und Geoff Downes ersetzt Rick und Oliver Wakeman. Trevor Horn produziert. Beim Songmaterial greift man einige alte Kompositionen von Downes und Horn auf sowie Material von Howe und Squire, nur ein Song ist anscheinend eine echte Band-Komposition aus jüngster Zeit. Die Musiker sind zwischen 59 (Downes) und 64 (Squire) Jahre alt, Ausnahme Benoit David (45). Der Popularitätsstatus von Yes sank in den letzten 20 Jahren stetig, sie sind von einer Band, die auf der Union-Tour 1991 noch große Hallen füllte, zu einer Nischengruppen-Angelegenheit geworden, können allerdings nach wie vor auf eine solide Fan-Basis bauen, die für allzugroße Deals mit Plattenfirmen freilich nicht mehr ausreicht. Mit Frontiers Records aus Italien hat man nun ein kleineres, nach eigenen Angaben eher auf 80er-Jahre-Musik spezialisiertes Label gefunden, das demnach aller Wahrscheinlichkeit nach Yes eher in 90125- als in Relayer-Gefilden zuhause sieht und seinen Einfluss sicher in dieser Richtung auch geltend machte. Die Musikindustrie hat zudem gewaltige Umwälzungen hinter sich, der Druck auf die Firmen ist groß. Die Yes-Klassiker der Siebziger entstanden in einem für Künstler unglaublich fruchtbaren Klima. Da sich progressive, abenteuerlustige Musik damals sehr gut verkaufte, ließ man den Musikern alle Freiheiten bei der Entstehung neuer Alben. Ab den 80ern beeinflussten zunehmend A&R - Knechte aus den Plattenfirmen die Aufnahmen, das Lineup und das Image der Bands. Heute schafft es nur noch eine Handvoll Künstler im Profi-Business, ihre Alben ungestört zu schreiben und aufzunehmen, im Progrock-Bereich fällt mir dabei eigentlich nur noch ein großer Act ein, der so produziert und das ist Rush. Yes gehört nicht mehr in diese Liga, sie haben also sicher deutliche Kompromisse einzugehen.

Macht man sich dies alles klar, sieht man, wie schwer es unter diesen Umständen sein muss, halbwegs brauchbare Musik zu produzieren. Selbst wenn sie noch die Energie hätten, kühne und kompromisslose Musik zu machen, wäre es eher unwahrscheinlich, dass eine größere Plattenfirma das veröffentlichen würde.

Lässt sich unter diesen widrigen Umständen und im Angesicht einer sehr kritischen Fangemeinde überhaupt ein halbwegs vernünftiges Album realisieren? Diese Frage muss jeder für sich selber entscheiden, denn musikalische Qualität ist nicht messbar und es ist alles Geschmackssache. Hier nun meine Sicht der Dinge:

Ich persönlich habe zunächst mal weder mit Horn noch mit Downes ein Problem, ich mag Drama sehr gerne und halte Horn für einen fähigen Produzenten, der 90125 zu einem Album machte, das für die 80er prägend war und weit mehr als seelenloser Poprock. Sogar Frank Zappa spielte "Owner of a lonely heart" live. ;) Nach einigen eher schwach gemischten und produzierten Studioalben war ich mir außerdem wegen der Verpflichtung Horns sicher, dass es sich diesmal zeitgemäß und klanglich einwandfrei anhören würde. Ich stand dem Album also anfangs schon wohlwollend gegenüber.

Der 23minütige Longtrack "Fly From Here" leidet zwar etwas an ein paar schludrigen Übergängen, ist aber imho weit mehr als ein Konstrukt aus lieblos aneinandergekleisterten alten Buggles-Songs. Themen werden wiederholt und variiert, Trademarks wie Chorgesang, typische Howe-Gitarrenparts und die voluminösen, warmen Bass-Sounds von Squire kommen gut und pointiert zum Einsatz, Benoit David klingt meist eher nach Trevor Horn als nach Jon Anderson. Downes ist kein Wakeman, täterätätää-Soli bleiben also aus, neben geschmackvollen Texturen gibt es sparsame Hammond-Sounds und die Downes-typischen synthetischen Streicher. Das Stück wuchs hier nach und nach immer mehr und ist mittlerweile mein klarer Favorit, der das Album prägt und zu einem für mich guten Album macht.

Die kürzeren Songs der zweiten Albenhälfte gefallen mir nicht alle gleich gut, ich habe aber keinen klaren "Skip-Song", den ich beim Hören des Albums ausspare. Außer "Into The Storm", das etwas vertrackter und rockiger ist, sind das alles leicht zu hörende Songs, die hi und da durch kleine nette Details etwas gewürzt werden, meist sind es vorsichtig eingebaute krumme Takte. Keine Sensationen, wobei ich sagen muss, dass hier Life on a Film Set ein kleiner Hit geworden ist, ich höre das unheimlich gern, es ist eingängig, ohne stupide zu sein. Hour of Need und The Man You Always Wanted Me To Be sind brauchbare, für mich auch gänzlich unpeinliche Pop-Songs, die mich dennoch zufrieden schmunzeln lassen, wenn ich Chris Squires Vocals höre, die ich so mag, ebenso wie die akustische Instrumentierung in Hour of Need. Die stimmliche Nähe Davids zu Anderson bei Hour of Need macht die Sache noch schöner. Solitaire bietet bewährte Steve Howe - Akustik - Kost zum Zurücklehnen und Genießen.

Ist das "progressiv", abenteuerlustig, mutig, kühn, kompromisslos? NEIN, zu keinem Zeitpunkt. Dennoch ist es weit mehr als ich erwartet hatte. Das Album bietet ein geschlossenens musikalisches Bild, ist sorgfältig ausgearbeitet, hat eine gelungene Dramaturgie. Das Songwriting ist solide und die musikalischen Leistungen souverän. Produktion und Mix sind überzeugend, druckvoll und transparent. Es macht Spaß, das Album zu hören. Außerdem empfinde ich große Dankbarkeit dafür, dass ich einige der Yes-Trademarks nochmal auf neu aufgenommenen Studio-Songs hören darf.

Schön auch ganz nebenbei, dass man es endlich mal wieder geschafft hat, ein Roger-Dean-Artwork angemessen zu präsentieren, und zwar in Form der "Deluxe Collector's Box" oder wie das Dingen heißt. Roger Dean in Größe eines CD-Booklets ist immer etwas unbefriedigend, wenngleich die Umsetzung hier durchaus gelungen ist. Die LP mit Klappcover kann es in Sachen Artwork aber imho schon mit einigen großen Werken aufnehmen, es macht Spaß, die Details im Coverbild zu erforschen und das Motiv gefällt mir einfach sehr sehr gut.

Tja, und so sitze ich seit Erhalt der Box nun Tag für Tag da, LP oder CD-Booklet in Händen, die Musik des Albums erfüllt das Zimmer und ich bin rundum glücklich und zufrieden, weil ich nach all den Jahren nun ein für meine Begriffe zwar nicht sensationelles, aber dennoch sehr solides und in fast allen Belangen liebevoll und sorgfältig gemachtes Yes-Studio-Album hören und anschauen darf.

Danke, Yes! Sagt
hans
Antworten

Zurück zu „Fly From Here“