... and You Will Know Us By The Trail Of Dead:
"Tao Of The Dead" (4.2.)
GLITTERHOUSE: Beeindruckend, mal wieder. Voluminöser Rock mit Druck, Power und z.T. gesunder Härte und Schärfe, wuchtige/pompöse Erinnerungen an Symphonic/Prog Rock der 70er in modernisiertem Gewand, melodischer ruhigerer/weicherer Indie Pop tummeln sich gerne im selben Song. Ein par Mal ziehen sie das Tempo mächtig an, überschlagen sich fast. Gitarren werden schichtweise übereinander getürmt, auch ziemlich grelle. Mehrfach dachte ich: Die modernen Yes (ca. Close To The Edge) des Indie Rock – nur die Songs sind kürzer. Und dann kommt zum Schluß ein epischer 16-Minüter! Komplexere Strukturen verwenden sie teilweise auch, und das Ganze wirkt wie ein Konzeptwerk. Sie selber geben übrigens Rush als größeren Einfluß an, durchaus nachvollziehbar.
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The Decemberists: "The King Is Dead"
(gerade neu erschienen)
Eine Empfehlung für die Fans von Jethro Tull (mich erinnern sie jedenfalls gelegentlich daran) !
Alle Macht vom Folk aus
Nachdem sie sich und uns mit der überambitionierten, verkopften Progrock-Oper "The Hazards Of Love" zu viel zugemutet haben, machen die Decemberists nun wieder das, was sie am besten können: kluge, herzergreifende Lieder mit hohem Wiedererkennungswert, ganz ohne donnernde Hardrock- Intermezzi oder andere kunstsinnige Mätzchen.
Die fünfköpfige Band widmet sich auf ihrem sechsten Album mit Mundharmonika, Fiedel und Akkordeon den elementaren Wahrheiten von Country und Folk, die freilich so simpel gar nicht sind. Eine Pedal-Steel-Gitarre maunzt und greint, R.E.M.-Gitarrist Peter Buck hilft an der Mandoline sowie an der zwölfsaitigen Gitarre aus, und Gillian Welch, die man hierzulande in erster Linie wegen ihrer Beteiligung am Soundtrack des Coen-Films "O Brother, Where Art Thou?" kennt, steuert den weiblichen Hintergrundgesang bei.
Der "Calamity Song" und "Down By the Water" klingen nun zwar selbst wie die besseren, früheren Stücke von R.E.M., die als Haupteinflussquelle von "The King Is Dead" gelten dürfen. Sänger, Schlauberger und Songschreiber Colin Meloy verleiht diesen Liedern mit seiner markanten, zuversichtlichen Stimme aber doch noch eine eigene Note. Neben "This Is Why We Fight" gehören diese hemdsärmeligen Kompositionen zu den eingängigsten und schönsten Momenten des Albums.
Die in einer umgebauten Scheune in der Nähe von Portland, Oregon, aufgenommene Platte überzeugt nicht nur durch die glasklaren, aufs Nötigste reduzierten Arrangements, sondern auch durch eine Fülle von liebenswerten und makellosen Melodien. Als Übung in Zurückhaltung hat Meloy das neue, vorwiegend akustisch instrumentierte Werk bezeichnet. Dass in der Einfachheit die höchste Vollendung liegt, ist eine Binsenweisheit. Die selbstgenügsamen und schnörkellosen Klänge von "The King Is Dead" mit Meloys Umzug aufs Land zu erklären - immerhin geben sich gleich mehrere Songs demütig dem Wechsel der Jahreszeiten hin - ist wiederum ein naturromantischer Kurzschluss. Als der Obama-Unterstützer noch in jener Stadt lebte, die als amerikanische Independent-Hochburg solch illustre Gruppen wie The Shins, Blitzen Trapper, The Thermals, Menomena oder Tu Fawning beheimatet, hat er ja auch schon eine Reihe sehr guter und erdiger Songs geschrieben. Er hat sich schlicht und ergreifend abermals auf seine künstlerischen Wurzeln besonnen.
Vor sechs Jahren etwa veröffentlichte Meloy eine kleine Solo-Hommage an Morrissey, den einstigen Sänger der Smiths. Deren drittes Album hieß bekanntlich "The Queen Is Dead". Jetzt, da musikalisch alle monarchischen Würdenträger zu Grabe getragen wurden, lässt es sich scheinbar freier aufspielen und erzählen: "And when we die / We will die / With our arms unbound", heißt es beispielsweise in "This Is Why We Fight", während Meloy in der sanftmütigen Ballade "Rise To Me" seinem Sohn Henry ausdrücklich Mut zuspricht.
So unbeschwert und optimistisch, so zurückgelehnt und milde melancholisch hat man die Decemberists seit ihrem Durchbruch mit "Picaresque" nicht mehr erlebt. Vorbei ist die Ära der megalomanen Konzeptalben - alle Macht geht vom Folk aus! Alexander Müller
Text: F.A.Z., 29.01.2011, Nr. 24 / Seite 39